Das geliehene Leben.


(Foto: Jürgen Heinisch)


Der Start.

Gut, daß mir die besten Fahrerassistenzsysteme der Welt regelnd zur Seite stehen: ESP, ABS, DSC I und II, ASR... alles, was mein Herz begehrt, ist vollzählig vorhanden und aktiviert. Und das Schönste, alles ist genau da installiert, wo ich es brauche: In meinem eigenen Hinterteil und nicht irgendwo im Auto. Denn was ich mir am Samstag zum wiederholten Mal bei Seven Cars & Parts in Neuss geliehen habe, ist schlicht und ergreifend eine schlichte und ergreifende Fahrmaschine. Und keine weichgespülte, elektronisch abgeregelte Marketingsänfte. (Wer einen Super 7 nicht kennt: Dieses Kraft-Fahrzeug hat nichts, was der behütete und elektronisch kontrollierte Auto-Pilot von heute als normal erachtet. Noch nicht mal ein ABS. Oder eine Servolenkung. Und nein, einen Airbag hat er auch nicht.)

Montag.

Irgendwo in Graubünden wird die Paßstrasse so schmal, daß Felswand (linke Seite) und Abgrund (rechte Seite) den Caterham immer stärker in ihre naturgewaltige Zange nehmen. Doch unbeeindruckt von der möglichen Absturzgefahr werfen sich die zweihundert von Ford Cosworth trainierten Pferde auf die Semi-Slicks und schießen meinen G-Force trotzenden Körper Richtung Passhöhe. Kurze, düstere Tunneldurchfahrten unterbrechen trockenes Kurvengeschlängel, das meiste geht im dritten Gang, nur in den feuchten Tunnelpassagen wedelt das Heck bereits im zweiten. Immer neues Adrenalin schießt in die Blutbahn, jede einzelne Nervenzelle blitzt hyperaktiv, feuert über sämtliche Synapsen hinweg Glücksgefühle ins Hirn. Egal wie subtil der Befehl - übermittelt durchs winzige Lenkrad, den kurzen Gangknüppel und die drei eng stehenden Pedale wird er ansatzlos in grenzenlosen Fahrspaß umgesetzt. Ebenso unmittelbar kommen die Rückmeldungen von einem messerscharfen Fahrwerk, das in seiner Präzision an ein Samurai-Schwert erinnert. Nichts poltert, nichts knallt, man könnte ein Buch schreiben über dieses Erlebnis: Zen oder die Kunst, ein Fahrwerk zu bauen. In Momenten wie diesen wird die Aufregung still, das Leben fällt in eine natürliche Balance. Zeitlupen-ähnliche Ruhe kehrt ein, Mann und Maschine verschmelzen, werden eins. Die Trennung, das weiß ich aus Erfahrung, findet erst Wochen nach der Rückgabe des Caterham statt.

Abends im Restaurant, kurz nach dem ersten entspannenden Bier und noch bevor sich das mehrgängige Menü aufs Innigste mit unseren leeren Mägen vermählt, wird ein neuer 1:10.000er Ausschnitt der Alpenkarte auf dem gestärkten Tischtuch entfaltet. Laßt sehen: Wie wär's denn da hinauf, dann dort hinunter, um an dieser tiefen Schlucht hier ins kurvenreiche Tal abzubiegen? Oder doch lieber erst dem unendlichen Geschlängel der südwärts jagenden Paßstrasse folgen? Ein Sturmtief, alarmiert uns die Bedienung, wälzt drohend vom Westen heran, schon seit drei Tagen spüren wir seinen feucht-kalten Hauch im Nacken. Also erst ab in den Süden, dann schnell nach Osten, Italien, Österreich... einverstanden? In drei heißen Köpfen glüht die Vorfreude, ein weiteres kühles Bier muss zum Löschen her.

Dienstag.

Wäre der Super 7 ein Hund, er würde jeden Morgen freudig schwanzwedelnd an mir hochspringen, um mich dann ungeduldig jaulend zur Garagenausfahrt zu zerren. Vor einer halben Stunde haben wir in der Tiefgarage unseres zweiten Schweizer Nachtquartiers ein paar kleine Reisetaschen auf die Beifahrersitze der drei einladend offenen Seven geworfen und sind in geschlossener Formation hinaus in die frühe Morgenstunde gegrollt. Mit 2.000 Umdrehungen im 5. Gang bollert der 2,3 Liter Durotec durch dämmrige Schweizer Bergdörfer, während ich mir noch hier den Kragen und da die Mütze zurechtzupfe. Kleine morgendliche Rituale, in deren Verlauf sich in mir erste Endorphine und im Caterham erste heiße Öltropfen breitmachen. Irgendwann spült er dann immer mehr Hitzewallungen ins Cockpit, zuckt seine Hinterhand in Kurven-Scheitelpunkten immer nervöser, läßt er mich seine leichtmetallenen Muskeln immer stärker spüren. Er will los. Noch halten die dunklen Wolken ihre pitschnasse Fracht zurück, bauen sich nur drohend am Horizont auf. Sollen wir doch lieber die Richtung wechseln? Vielleicht später, im nächsten Tal, hinter der italienischen Grenze.

Turbogeladene Schallwellen, knapp fünfzig Meter vor mir erzeugt, rollen grollend in mein Ohr. Doch obwohl der blaue Seven vor mir jetzt all seine 260 chipgetunten PS von der Leine läßt, kann er meinen leichten, präzisen Caterham nicht abschütteln. Wie ein Kampfhund verbeisst sich der CSR in den brüllenden Auspuff des Opel-getriebenen Irmscher und lässt nicht mehr los. Ein weiterer Irmscher, knallrot und nur 160 PS stark, verschwindet nach einem drei, vier Runden währenden Kurvenkampf im chromglänzenden Rückspiegel. Ihn werden wir erst wieder sehen, wenn wir oben auf der Paßhöhe einen ersten wärmenden Kaffee trinken und die schönsten, tückischsten, schnellsten Kurven auf der entweder glücklich getroffenen oder knapp verpassten Ideallinie mit großer Geste und leuchtenden Augen in den Brötchenduft des Gastraums nachzeichnen. Draußen, mit leise knisternder Motorhaube, fiebert derweil meine Aluminium-gewordene Ungeduld dem nächsten Riesenslalom entgegen.

Rückblende.

Zwei Tage zuvor in Baden-Baden. Jürgen fährt auf seinem Irmscher die Club Sport Trophy mit, heute steht eine Gleichmässigkeitsprüfung auf dem Programm. Überraschung: Ich bin als Gastfahrer gemeldet. Soll ich, soll ich nicht? Immerhin ist mein Caterham ein Mietwagen, der neue Motor hat erst tausend, allerdings sorgsam und kurvenreich durchmessene Kilometer hinter sich. Ich entscheide mich für: ich soll. Diese Wertungsprüfung ist schließlich kein Rennen. Ölcheck, Leihhelm, kurzer Trainingslauf, dann geht's los. Ich limitiere die Drehzahl auf 5.000, fahre zügig, aber rund und schon nach neun gezeiteten Runden wieder an die Box. Abends, auf dem Weg nach Straßburg, kollert ein Pokal für meinen zweiten Platz durch das spärlich bemessene Gepäckabteil des Caterham. Jürgen, den eine viel zu gelöste Schlauchschelle um dringend benötigte Ansaugluft und damit um eine gute Platzierung gebracht hat, grinst nur. Er weiß: In unserem meist humorvoll ausgetragenen Wettbewerb um den besseren Seven ist der Caterham wieder ein paar Meisterschaftspunkte weiter in Richtung Titel gefahren. Ich glaube, ich muss ihm ein Bier spendieren.

Mittwoch.

Es ist düster geworden in Österreich. In einem unbegründeten Wutanfall hat sich der Himmel entschieden, seine Schleusen zu öffnen. Alle Schleusen. Wir sind gerade in Richtung Fernpaß unterwegs, da bricht das Unwetter los. Peitschender Sturm rupft Äste von den Bäumen, tosende Wassermassen stürzen auf die Straße, versuchen unsere Seven vom rechten Weg zu spülen. Die winzigen Scheibenwischer kämpfen sich hysterisch über die beheizte Frontscheibe, unsere von schmierseifenglatten Semi-Slicks gezügelte Geschwindigkeit sinkt auf 80, 70, 60 km/h, wir tragen die Autos Richtung Grenze. Längst sind die von filigranem Gestänge gehaltenen Stoffmützen aufgestülpt und in minutenlanger Feinarbeit mit der Karosserie verknüpft worden. Innentemperatur und Lärmpegel schwellen nahezu gleichzeitig an, aber dennoch: Wir sitzen überraschend geborgen vor dem Bild einer wild gewordenen Natur, die außer Rand und Band unsere Seven umtost. Die Entscheidung, unsere triefend nassen Gefährte/n frühzeitig unter ein trockenes Garagendach zu stellen, fällt einstimmig und leicht. Morgen früh, dem abziehenden Tiefausläufer folgend, soll es dann, so will es die Vernunft, wieder nach Hause gehen.

Das Ende einer Ausfahrt.

Zurück in Neuss, hat das Erlebnis Super 7 meinen turbodieselgetriebenen Miet-BMW gefühlsmäßig in einen hochbeinigen, plüschig-weichen, wankenden Mini-Bus verwandelt. Obwohl ich diesen Effekt seit über 20 Jahren kenne, erwischt er mich auch diesmal wieder kalt. Unzufrieden und verloren an einem scheinbar riesigen, wulstigen Lenkrad kurbelnd, torkele ich mit einem noch vor wenigen Tagen als sportlich empfundenen Personenkraftwagen zurück in den automobilen Alltag, lasse mich zurückschaukeln in die öde Welt fahrerischer Langeweile. Und obwohl auf der sechsspurigen Autobahn Richtung Berlin ohne jeglichen Fahrfreude erhöhenden Effekt, drücke ich trotzig die DSC-Taste ins Aus.

Am 21. Juni, so beruhige ich mich, geht es wieder los: Mit zwei Super 7 in die französischen Seealpen. I'll keep you posted.

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