Im Westen nicht viel Neues.


„Fuck you and the horse you rode in on“, begrüsst mich die nett gemeinte Beleidigung auf den Bikerwesten des Hell Fire Canyon Club, während ich inmitten einer nicht enden wollenden Blechlawine auf dem Highway 101 in Richtung Hollywood Hills schleiche. Ich bin auf dem Weg zur Fremd-Arbeit, zwei harte Tage mit Erik, mein künftiger Mentor und Mitglied einer martialisch ausstaffierten, musikalisch versierten und mit grossen Herzen ausgestatteten Biker Gang, stehen mir bevor.

Zu Eriks Kumpels, die auf zweirädrigen Liebhaberstücken meist englischer und italienischer Provenienz durch ihre zweite Lebenshälfte bollern, zählen so illustre Typen wie Billy Morrison (The Cult), Steve Jones (Sex Pistols) oder Danny Boy O’Connor (House of Pain). Leider reichte meine eigene musikalische Karriere nicht weiter als zur Mitgliedschaft in einem Jugend-Akkordeon-Orchester, aber was Motorräder angeht, kann ich durchaus mithalten: Benelli, Laverda, BSA, Norton, Triumph, Ducati... die Maschinen, die zum Fuhrpark des Hell Fire Canyon Club zählen, habe ich grösstenteils auch besessen, gefahren, gewartet und geliebt.

Kein Wunder, dass der nächste Arbeitstag mit einem doppelten Espresso und ausführlichen philosophischen Erörterungen über die hochsensible Verbindung zwischen Mensch und Maschine beginnt. Besonders das Motorrad steht als starkes Symbol einer Maschinenwelt, die den Menschen sowohl befreien als auch versklaven kann, doch für Erik und mich ist es ausschließlich die Freiheit, mit der wir uns im täglichen Fahrer-Leben/Fahr-Erleben auseinandersetzen.

Der Super 7, den ich in den nächsten Tagen mal wieder über 3.000 kurvige Kilometer durch die Alpen scheuchen werde, steht in meinen Augen übrigens ganz, ganz dicht neben dem Motorrad - oder, je nach Sichtweise, davor oder darüber. Zwar kreisten Eriks und meine verbalen Ausflüge in den psychologischen Maschinen-Raum ausschließlich um die zweirädrigen Reisebegleiter, aber meine Faszination für den Super 7 entstammt der selben Wurzel: Der beim Fahren erlebten Kanalisierung der Wahrnehmung, die es ermöglicht, die natürlichen Grenzen der menschlichen Kapazität zu erweitern und so die „human-technische Symbiose zu perfektionieren“, wie es der Schweizer Psychologe und Motorradfahrer Prof. Dr. Hansjörg Znoj ausdrückt.

Doch nichts wie raus aus dem drohenden wissenschaftlichen Diskurs und zurück auf das „horse, I rode in on“. Einen Jeep Grand Cherokee miete ich mir nicht zum ersten Mal, wenn ich den Westen der USA bereise, deshalb gibt es über ihn leider nicht viel Neues zu berichten. Zwar ist die Modellpflege für mich diesmal deutlicher spürbar als zuvor, doch im Grunde ist und bleibt es der alte, treue Klepper Cherokee. Am Flughafen von San Francisco hatte man mir wahlweise einen Ford Mustang, Chevrolet Camaro oder Dodge Charger angeboten, aber erstens bin ich an einfallslosen Neu-Interpretationen legendärer Muscle Cars nicht besonders interessiert, zweitens brauche ich einen grossen Laderaum und drittens, für alle Eventualitäten, die Fähigkeit des überraschend kletterstarken Jeeps, um auch auf den unbefestigten Pfaden der Great American Wilderness ungehindert ans Ziel zu kommen.

Hier in Los Angeles ist die Unbeweglichkeit des Grand Cherokee eher hinderlich, doch zumindest ermöglicht mir die erhöhte Sitzposition einen freien Blick auf den seit einiger Zeit neben mir her surrenden Tesla, der - parallel zum voluminösen Benzintank meines Jeeps- langsam aber sicher seine Akkus leer saugt. Vielleicht ist es gerade diese Position hoch auf dem silbernenen Wagen, die mir ins Gedächtnis ruft, wie sehr noch wir im Zeitalter der Pferdekutsche gefangen sind: Der Kutscher sitzt immer noch oben, auf einem Sitz statt einer Bank, hält statt Lederzügel ein Lederlenkrad in der Hand, vorne trommeln lautstark statt der Hufe die Zylinder, und noch immer tragen vier Räder Gepäck- und Passagierkabine. Der Einbau von Akku und Elektromotor in einen Lotus (nach der Transplantation ist es ein Tesla) macht für mich da keinen grossen Unterschied, Kutsche bleibt Kutsche, auch wenn man etwas tiefer sitzt.

Ich finde, gerade die Elektrifizierung des Automobils bietet die grandiose Möglichkeit, das Konzept der automobilen Fortbewegung endlich einmal völlig neu zu denken. Am nächsten Wochenende treffe ich in Italien einen äusserst einfallsreichen Kreativen, der sich seit Jahren genau mit diesem hochaktuellen Thema beschäftigt. Mal sehen, was er dazu zu sagen bzw. zu designen hat.

Vielleicht gibt es ja im Süden was Neues.

http://www.rockmoto.com/node/157
http://www.teslamotors.com/

Beliebte Posts aus diesem Blog

Thrill-Seeker vs. Skill-Seeker.

Autonomes Fahren vs. Autonom fahren.

Does the Internet kill the car?