Mobile Tarnkappe.



(Disclaimer: Dont’t try this at home.)

Ein Hyundai also.

Anstatt den mir zugewiesenen südkoreanischen Mietwagen am Europcar-Counter im Flughafen Rom empört zurückzuweisen und auf dem gebuchten italienischen Fabrikat zu bestehen, übernehme ich ungewohnt widerspruchslos den Schlüssel zu einem silbergrauen Hyundai i30. Nicht, um –wie die Website von Hyundai Motor Deutschland betont- „den Alltag von seiner schönsten Seite zu erleben“. Sondern weil ich mittlerweile fast jedes aktuelle Mietwagenmodell gefahren bin.

Außer einem Hyundai.

Die Abneigung gegen alles Praktische entwickelte sich schon früh in meiner Kindheit. Wenn mir meine Mutter eine Jacke kaufte, die sie als praktisch bezeichnete, konnte ich sicher sein, dass ich mich damit bei meinen Kumpels auf der Straße nicht sehen lassen konnte.

Der Hyundai i30 ist ein praktisches Auto.

In einer Zeit, in der nicht mehr leidenschaftliche Automobilkonstrukteure das unternehmerische Sagen haben, sondern Controller vor dem Gleichteilebaukasten sitzen und Kostenreduktion spielen, erwarte ich von einem Neuwagen nicht länger, dass er mir Spaß macht. Deshalb kann mich auch der Hyundai nicht sonderlich enttäuschen, obwohl er sich hier und da durchaus Mühe gibt. So fällt mir sofort beim Öffnen der Heckklappe die Hutablage (ich liebe dieses Wort) entgegen. Das wird sie über die gesamte Mietdauer tun, auch eine Folge des gewohnt rauen Umgangs mit Leihwagen. Insgesamt ist die Verarbeitung des i30 eher durchschnittlich, bestenfalls ordentlich. Oder sagen wir es so: In Relation zum Neupreis irgendwie ok.

In einem Punkt übertrifft der Hyundai allerdings meine tiefergelegten Erwartungen. Während viele europäische Automobile mittlerweile so aussehen, als wären sie in Designcentren in Moskau oder Peking nachgearbeitet worden, sieht man dem i30 durchaus an, dass seine Designer in Deutschland arbeiten.

Trotz seiner europäischen Linie sorgt der Hyundai schon auf den ersten Parkhausmetern dafür, dass meine Individualität zügig in der mobilen Masse untergeht. Was sich allerdings in dem Moment, in dem ich mich dem öffentlichen Verkehr aussetze, als eher positiv herausstellt.

Der öffentliche italienische Straßenverkehr unterscheidet sich vom öffentlichen deutschen Straßenverkehr sehr deutlich, und dass um so mehr, je weiter er im Süden stattfindet. Trotz teils drakonischer Bußgelder werden die aufgestellten Ver- und Gebotsschilder von der Masse der Verkehrsteilnehmer vornehmlich als unverbindlich erachtet, wenn nicht sogar als unterhalb der Wahrnehmungsschwelle befindlich.

Da das gesamte Verkehrsgeschehen außerdem wie ein einziges großes Spiel mit eigenen Regeln inszeniert wird, spiele ich einfach mit. Zugegeben, mein daraufhin leicht angeschärfter Fahrstil ist verkehrspolitisch alles andere als korrekt, aber auch alles andere als aggressiv. Spielerisch eben.

Wie jeder halbwegs geübte einheimische Automobilista fahre ich meist schneller als erlaubt, ignoriere durchgezogene Linien, überhole trotz Verbot, beschleunige vor Baustellenampeln, die bereits mehrere hundert Meter vor mir auf Rot gesprungen sind, und quetsche mich in Lücken, die sich erst dann auftun, wenn man sie tatsächlich braucht. Und in die dann noch unvermittelt eine aus dem Hinterhalt heranheulende Vespa hineinsticht.

Mir fällt ein, was mir Rennfahrer-Legende Hans Herrmann einmal auf der Mille Miglia beruhigend zugerufen hatte, während er trotz scheinbar undurchdringlichem Gegenverkehr in dritter Reihe zum Überholen ansetzte: „Keine Sorge, in Italien sind die Landstraßen wie Gummischläuche! Die dehnen sich nach links und rechts aus, wenn’s brenzlig wird.“

Mut zur Lücke, das ist auch meine Devise. Doch nie werde ich wütend angehupt, geschweige denn wüst beschimpft. Im Gegenteil, man nimmt mich in meinem Hyundai anscheinend überhaupt nicht wahr. Und langsam realisiere ich: Mit dem Hyundai habe ich mir eine Art automobile Tarnkappe verpasst.

Liegt es an seinem unscheinbaren Image? Seiner unaufgeregten Optik? Denken die Italiener/innen, der Fahrer eines Hyundai ist ein argloser, aus praktischen Erwägungen heraus handelnder Zeitgenosse, dem solch' kriminellen Taten wie Vordrängeln, Abschneiden, Hakenschlagen, Zu-schnell-Fahren etc. gar nicht wesenhaft sind? Obwohl er sie genau in diesem Moment begeht? Kann man seinen Augen nicht trauen?

Man sieht, was man sehen will. Dass ein grundsolider Hyundai als willenloses Werkzeug abgebrühter Verkehrsrowdies dienen könnte, scheint dermaßen undenkbar, dass es in den Augen anderer Automobilisten einfach nicht stattfindet.

Wie auch immer, mir macht diese Art des Unauffällig-Schnell-Fahrens zunehmend Spaß. Sicher, man muss besser aufpassen, vorausschauender fahren, schneller reagieren, aber das sollte man in Italien sowieso.

Erstaunlich schnell habe ich mich daran gewöhnt, unsichtbar zu sein. Das gilt glücklicherweise auch für das Auge des Gesetzes. Mehrfach ziehe ich mit deutlichem Geschwindigkeitsüberschuss an Polizeikontrollen vorbei, ohne dass ich wegen meines frevelhaften Tuns mit gellendem Pfiff und hektisch schwenkender Kelle aus dem Verkehr gezogen werde.

Ein anderes Beispiel: Um zu unserem Hotel zu gelangen, fahre ich unbehelligt in eine Fußgängerzone ein, parke entgegen einer Einbahnstraße und stehe dort eine Woche lang unbemerkt im Parkverbot. Steht das i am i30 für „invisible“?

Als ich den Hyundai nach 10 Tagen und knapp eineinhalbtausend Kilometern am Flughafen Rom wieder abstelle, hat er mir nicht nur zahllose Punkte und Euros erspart, sondern auch eine kleine Lektion erteilt: Dass sich unter all meinen Vorurteilen, die ich einer Automarke gegenüber hege, ein handfester Vorteil verbergen kann.

Auch wenn es nur der ist, dass es hin und wieder ganz praktisch ist, in der automobilen Masse unterzugehen.

PS. Der Grund für diesen Italienaufenthalt war übrigens das Foodcamp Cilento, das vorwiegend die Kulinariker unter den Lesern interessieren dürfte. Für diese Genussmenschen hier ein erklärender Link:

http://nutriculinary.com/2011/10/09/foodcamp-cilento/

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