Vergleichende Partnerwahl.


(Screenshot: ÜSTRA Werbefilm)

Heute habe ich mir nach dem Spontankauf eines wichtigen deutschen Automagazins ein zweifelhaftes Lesevergnügen gegönnt: das Studium eines dieser regelmäßig publizierten Vergleichstests (def.: Vergleichende Überprüfung unterschiedlicher, auch ausländischer Automobile meist innerhalb einer Fahrzeugklasse, in dessen Verlauf anhand definierter Bewertungskriterien und mit Hilfe standardisierter Messverfahren objektivierbare Daten ermittelt werden und wo am Ende ein VW gewinnt).

Vielleicht war es die Langeweile beim Lesen, die meine Gedanken auf eine Reise ins Reich der Phantasie schickten - jedenfalls spielte sich während der Lektüre das folgende imaginierte Szenerio vor meinem inneren Auge ab:

Ein alter, nur in meiner Einbildung lebender Freund, der seine Brötchen als Testingenieur bei einem grossen deutschen Automagazin verdient, hat sich nach der Trennung von seiner langjährigen Lebensabschnitts-Gefährtin und der darauf folgenden Übergangsphase voll flüchtiger Bekanntschaften für eine neue Partnerin entschieden, spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Angenehm überrascht gratuliere ich und bin, da ich seine Vorlieben zu kennen glaube, absolut sicher: Die bildschöne Italienerin, von der du immer erzählst? Mit der du dieses fabelhafte Wochenende in Rom verbracht hast?

Nein, die nicht, bedeutet er mir. Klar, eine supersinnliche Frau, ein absoluter Traum, da knisterte es nicht nur, da flogen die Funken! (verdreht träumerisch die Augen) Aber auch anstregend, die Schöne, sehr anstrengend sogar. Braucht ständig Zuwendung und Aufmerksamkeit. Und ich wette, lässt du sie mal eine Nacht aus den Augen, -zack!- ist sie weg. Ich bin ja nicht der einzige Mann, der auf erotische Formen abfährt. Und du kennst ja meine Verlassensängste.....

Angst essen Liebe auf, sage ich. Gut, die also nicht. Zweimal darf ich noch raten: Diese große, elegante Rothaarige, mit der du bei mir auf der Geburtstagsparty warst? Wo kam die nochmal her?

Juliette? Nein, die auch nicht. Ich weiss zwar, was du meinst. Keine Model-Schönheit, aber äußerst apart. Und verdammt erotisch. Sehr erotisch sogar. Dazu unheimlich intelligent, ein Gehirn wie ein Supercomputer. Extrem auf- und anregend, die Frau. Neinnein, die war schon in der engeren Auswahl, aber weißt du, Esprit und Eleganz kosten auch Geld. Und verstecken will man sie ja auch nicht. Große Dame, große Welt: Vernissagen, Konzerte, teure Kleider, teurer Schmuck, teure Restaurants, teure Bars, jeden Abend ein glamouröser Auftritt. Und alle Männer starren mich an: Was hat der, was ich nicht habe? Ganz ehrlich: Die wär's eigentlich gewesen.(seufzt) Aber sie hat auch Schwachpunkte, die ich nicht einfach übersehen kann: Erstens ist sie mir einen Hauch zu verschwenderisch, zweitens zeigt sie damit null ökologisches Bewusstsein, was übrigens in meinem Bekanntenkreis gar nicht gut ankommt, und drittens: Wer soll das alles bezahlen? Ich muss schließlich irgendwann auch mal an meine Altersvorsorge denken. Also: Punktabzug.

Altersvorsorge? Punktabzug? Hallo? Was geht denn hier ab? Für einen kurzen Moment fehlen mir die Worte.

Mein Freund interpretiert mein Schweigen als Kritik, in seiner Stimme schwingt plötzlich ein leicht ärgerlicher Unterton mit: Und bevor du jetzt mit der kleinen Engländerin kommst, die du selbst am liebsten angebaggert hättest: Ja-ja-ja, die ist echt süß, ein richtiger Feger, ein Kurvenstar, temperamentvoll, sexy, blah-blah-blah! Aber auch das will ich dir ganz offen sagen: Für meinen Geschmack ein bisschen zu temperamentvoll und sexy.

Wie bitte? Zu sexy? Früher war mein Freund immer der letzte, der was anbrennen ließ. Und was bedeutet das, "zu sexy", frage ich ihn. Punktabzug?

(Strenger Blick) Genau, Punktabzug. Denn sexy bedeutet auch: Die will immer nur spielen. Und dafür, und das sage ich dir als ein der Pubertät bereits Entwachsener, dafür ist das Leben viel zu ernst. Mir geht es um echte Partnerschaft, nicht um Spaß, Schönheit, tolle Kurven und pausenloses Generieren von Neid. Jetzt guck' mich nicht so komisch an, einmal darfst du ja noch raten: Also los, für wen habe ich mich entschieden?

Mein Gedächtnis läuft auf Hochtouren. War da noch jemand in letzter Zeit? Habe ich jemanden übersehen, der für eine Liebesbeziehung infrage kommt? Moment mal, übersehen... der meint doch nicht... oh Gott:

Helga?

Bingo!

Das ist nicht dein Ernst.

Und ob das mein Ernst ist! Die letzendliche Entscheidung fiel nach langer und gewissenhafter Prüfung, das kannst du mir glauben. Ich hab’s mir wirklich nicht leicht gemacht. Einen ganzen Katalog von Beziehungskriterien habe ich aufgestellt, und danach jede einzelne Partnerin, die für mich infrage kommt, absolut kritisch und unparteiisch bewertet und verglichen. Per Punktesystem, kennst du ja. Am Ende ging es ziemlich eng zu, aber unterm Strich stand eine echte Vernunftsentscheidung.

Und Vernunft buchstabiert sich H-e-l-ga?

Ich weiss genau, was du sagen willst, aber da gehen unsere Meinungen leider weit auseinander. Betrachten wir lieber nochmal Punkt für Punkt die Faktenlage, vielleicht überzeugt dich das:

Erstens, Helga ist keine Schönheit, aber sie sieht durchaus ansehnlich aus.

Bieder, korrigiere ich meinen Freund, sie sieht schecklich bieder aus.

Das, entgegnet er, ist ein absolut subjekter Eindruck, um den es an dieser Stelle überhaupt nicht geht. Also lass’ uns bitte objektiv bleiben. Zweitens ist Helga kein Kurvenstar wie beispielsweise die wilde Engländerin, und ja, zum Sieg im Erotikkapitel reicht es ebenfalls nicht - der würde ganz klar an meine italienische Affäre gehen. Aber Helga ist auf eine -sagen wir mal:- hausmütterliche Art nicht unsexy. Klar, kein feuchter Männertraum, kein Herzflimmern, aber da kann man mit leben, finde ich.

Kommt drauf an, wie man leben definiert, werfe ich ein.

(Stummes, missbilligendes Kopfschütteln an, bevor er fortfährt) Drittens. Intellektuelle Gespräche verlaufen zugegebenermassen etwas zäh, nicht ganz so prickelnd und sprühend wie mit Juliette, aber Helga ist in ihrer Argumentation durchaus logisch und vernunftbetont. Eine angenehme Gesprächspartnerin, sehr aufmerksam und charmant. Und leicht zu unterhalten.

Die kleinste gemeinsame Nennerin unter deinen Wahl-Bekanntschaften, sozusagen.

(Ignoriert meine Bemerkung) Viertens weiss sie zu wirtschaften. Ich sage mal so: Sparsam, aber nicht geizig, ökologisch interessiert, aber nicht fanatisch, Nichttrinkerin und Veganerin, aber nicht asketisch. Perfekt für jemanden, der sein Geld nicht im Lotto gewonnen hat.

Ich werfe ihm einen fassungslosen Blick zu: Was du sagst ist, du hast dich für genau die Frau entschieden, mit der dein Leben am wenigsten Spaß macht? Vernunft statt Liebe?

(Macht ein ts!ts! Geräusch) Vernunft ist die neue Liebe, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Aber kommen wir zum Schluss: Bist du an Fazit & Gesamtbewertung interessiert?

Nein.

Gut. Aus keinem meiner Wertungskapitel ging Helga als Siegerin hervor, aber sie leistet sich auch nirgendwo echte Schwächen. Kein Typ für eine aufregende Beziehung, sondern ein grundsolider Charakter. Ehrlich. Geradeheraus. Keine unangenehmen Überraschungen. What you see is what you get. Fazit: Eine äußerst ausgewogene Persönlichkeit und damit verdiente Gewinnerin meines objektiven Vergleichs.

Ausgewogenheit ist die neue Langeweile, entgegne ich trotzig. Und dein objektiv ist mein subjektiv.

(Wieder dieses traurige Kopfschütteln) A propos Langeweile: Nächstes Wochenende weihen wir unsere neue gemeinsame Wohnung ein. Du kommst doch auch?

Tut mir leid, ich kann nicht, ich habe eine Verabredung.

Mein imaginärer Freund lacht kurz und hämisch auf: Eine Verabredung? Mit dem alten Silberfuchs, der Tochter von Colin Chapman? Sag’ nicht, hinter der bist du immer noch her? (ernster) Kannst du mir sagen, was das mal werden soll? Das Remake von "Eine verhängnisvolle Affäre"? Wenn du die mal ganz objektiv mit den Frauen vergleichst, mit denen du sonst noch unterwegs bist... die käm' doch nicht mal auf 200 Punkte! (erneutes Kopfschütteln) Mensch, werd’ doch endlich mal erwachsen!

Ruf' mich an, wenn du deine unvernünftige Vernunftehe schließt, entgegne ich müde, ich schicke dir dann eine Beileidskarte. Dann verbanne ich die Phantasiegestalt zurück ins Automagazin.

Nichts wie zurück in die Realität. Es wird Zeit, mich mit ein paar anderen virtuellen Freunden zu verbünden. Wahre Freunde. Keine Vergleichstest-Junkies oder Mastertest-Masochisten, sondern echte automobile Enthusiasten, in ihrem gnadenlosen Urteil frei von faulen Kompromissen und fern zwanghafter Objektivität; aber dafür gerne zur großen Liebe fähig. Der großen Liebe zum Auto.

Ich feuere das wichtige deutsche Automagazin in die Ecke, klappe mein Laptop auf und suche im Internet nach der neuesten Folge von Top Gear.

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