Die Pferde übernehmen die Zügel.
Kein Spurhalteassistent. Kein Notbremsassistent. Kein Tempomat. Kein Abstandswarner. Kein Berganfahrassistent. Keine Einparkhilfe. Keine vollautomatischen Spaßbremsen. |
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Niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, wann der Mensch
zum ersten Mal das Pferd als Fortbewegungsmittel nutzte. Über 5.000 Jahre wird
das her sein, vermuten die Wissenschaftler. Was muss das für ein unbeschreibliches
Gefühl von Geschwindigkeit, von Freiheit und Überlegenheit gewesen sein, als
sich mit Gewichtsverlagerung, Schenkeldruck und kontrollierten Steuerimpulsen
über Zügel oder Leinen das Schritttempo eines Fußgängers reitend um ein Mehrfaches
übertreffen ließ.
Dem Reiten folgte das Reisen. Um 3.000 v. Chr. rollten in
Asien die ersten hölzernen Wagen, ihnen folgten die leichten Streitwagen, und viele
Jahrhunderte später stellten die Römer mit gefederten Reisewagen spürbar mehr
Komfort für Kutscher und Passagiere auf die hölzernen Räder.
Doch eines blieb über die vielen Jahrtausende gleich: Reiter
und Wagenlenker mussten erst einmal lernen, ihre vierbeinigen Pferdestärken zu
beherrschen und zu kontrollieren, um das Potenzial der neuen, schnellen
Reisemöglichkeit sicher auszuschöpfen.
Das änderte sich auch dann nicht, als Gottlieb Daimler einen
Motor in eine Kutsche einbaute und so das erste vierrädrige Automobil erfand.
Denn wieder mussten Steuermann und -frau neue Fähigkeiten erlernen, um nicht
beim nächsten Schritt in die automobile Freiheit die Kontrolle zu verlieren.
Mit zunehmender Erfahrung wuchs nicht nur das Können,
sondern auch der Spaß an der Fahrzeugbeherrschung. Es entstanden die ersten
Wettbewerbe, um das eigene Fahrkönnen zu demonstrieren und mit anderen zu
messen. Keine Frage, das Steuern von Automobilen und der damit verbundene
Gewinn an persönlicher Freiheit wurde so sehr mit positiven Emotionen
aufgeladen, dass der Erwerb eines Führerscheins für viele Jahrzehnte auf der
Hitliste aller Jugendlichen an erster Stelle stand.
Und heute? Heute stehen wir vor dem radikalsten Eingriff in
unser automobiles Dasein als Automobilist. Denn mit Einführung des autonomen
Fahrens werden wir zum ersten Mal die Kontrolle an unser Fortbewegungsmittel abgeben.
Im übertragenen Sinn kontrolliert nach über 5.000 Jahren das Pferd den Reiter.
Aber nicht nur das. Das analoge und sinnliche des Fahrens wird durch das
digitale und logische künstlicher Intelligenz ersetzt. Emotionen werden vom
Computer erzeugt und entstehen nicht mehr durch die Belohnung von
hervorragender Fahrzeug-Beherrschung.
Lenkrad, Gas- und Bremspedal? Unnötig. Von Taxi- und
Busfahrern werden wir uns deshalb auch bald verabschieden können. Wir werden
kein Fahrzeug mehr mieten, sondern uns einen fahrerlosen, vollautomatischen
Transportservice teilen.
Willkommen in der schönen, neuen mobilen Welt? Ja, zu einem
gewissen Grad sehe ich durchaus Vorteile, was den Gewinn an Sicherheit, Komfort
und Bequemlichkeit angeht. Doch in diesem komplexen und dynamischen Prozess entstehen
nicht nur technische, sondern vor allem eine Vielzahl von moralischen Fragen: Wer
trifft in kritischen Situationen die letztendliche Entscheidung, wer wägt sie
ab? Der Mensch oder der Computer? Aufgrund welcher Parameter? Wer übernimmt für
diese Entscheidung haftungsrechtlich die Verantwortung? Der Fahrzeughersteller?
Der Computer? Oder das Team, das die Software programmiert hat? Welche Moralvorstellungen sollte das
autonome System übernehmen und welche nicht? Oder stellen sich diese
Fragen bald gar nicht mehr, weil mit künstlicher Intelligenz und sensorischem
Potenzial ausgestattete Roboter zukünftig in der Lage sein werden, ethisch wesentlich
fundiertere Entscheidungen zu treffen als wir Menschen?
Ich glaube nicht, dass ein -zugegeben schwer lösbares-
moralisches Dilemma die gesellschaftliche Akzeptanz autonomer Fahrzeuge und damit
deren Einführung verhindern wird. Letztendlich wird sich unsere Gesellschaft
einer sicheren, komfortablen und umweltschonenderen mobilen Zukunft nicht
verschließen. Doch bis ich persönlich davon überzeugt bin, dass ich mein Leben
einem Algorithmus anvertrauen kann, greife ich lieber selbst ins möglichst direkt
übersetzte Steuer.