Ein Besuch beim König der Konstrukteure.
Ich weiß nicht, ob Wilhelm Maybach jemals in Neumarkt war.
Oder in der Oberpfalz. Was ich weiß ist, dass er dort sehr lebendig ist. Für
alle, die ihn besuchen wollen, hier seine Adresse: Holzgartenstraße 8, 92318 Neumarkt.
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Der Wagen des Königs. |
Wie
Vater und Sohn Maybach, so sind auch die automobilen Kunstwerke, die sie
geschaffen haben, echte Persönlichkeiten. Dass sie in Neumarkt so lebendig sind
liegt vielleicht daran, dass ihnen Anne und Dr. Helmut Hofmann ein
wunderschönes Zuhause geschaffen haben, in denen sich der Geist der Maybachs
einfach wohlfühlen muss.
Schon
beim ersten Schritt durch das metallene Eingangstor mit dem legendären Doppel-M wird man vom Mythos des legendären „Königs der Konstrukteure“ begrüßt - ein
Titel, der dem genialen Wilhelm Maybach 1902 auf dem Pariser Automobilsalon
verliehen wurde. Zehn Prozent der noch
existierenden Maybach Fahrzeuge sind in der weltweit einzigen Ausstellung versammelt, die ausschließlich
die Entwicklung und die Produkte von Wilhelm und Karl Maybach präsentiert. Das
heißt, zwischen 18 und 20 der extrem seltenen Meisterwerke aus den 20er und
30er Jahren kann man in den hellen Hallen bewundern, abhängig davon, ob gerade
Fahrzeuge in Wartung oder Restaurierung sind. Um dann in aller Ruhe den
Geschichten zu lauschen, die sie zu erzählen haben.
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In Neumarkt stehen (und fahren manchmal) zehn Prozent des weltweiten Maybach Bestands. |
Es gibt Automobile, die können sprechen. Sie erzählen von turbulenten Zeiten, von abenteuerlichen Reisen, von ihren Besitzern und ihren Erbauern. Die Geschichte,
die ein Maybach von seinem Konstrukteur erzählen kann, ist eine ganz besondere Geschichte. Es ist die von einer Heldenreise. Denn Wilhelm Maybachs Lebensweg vom kleinen Waisenknaben zum gefeierten Miterfinder des
Automobils weist viele der archetypischen Grundmuster einer mythischen
Heldenreise auf. Sie beschreibt den Ausgangspunkt in einer tristen Welt des Mangels, führt über die
Begegnung mit einem Herold,
der das Leben des Helden verändern wird, und dem unerwarteten Erscheinen eines Mentors, der ihn auf
seiner Reise stützt und fördert, weiter zu den ersten Bewährungsproben, zur Verbündung mit
Freunden und zur Konfrontation mit Gegnern, zu Hoffnung und Trauer, zu Siegen und Niederlagen und schließlich zum -meist glücklichen- Ende der langen Reise. Weil er die Gesellschaft an seiner großen Erfahrung und seinem gesammelten Wissen teilhaben lässt, wird der Rückkehrer mit höchster Anerkennung belohnt.
Die Heldenreise des jungen Wilhelm beginnt, als der
zehnjährige Vollwaise vom fürsorglichen Pfarrer Gustav Werner ins Bruderhaus
Reutlingen aufgenommen wird, wo der Theologe und Gründer der Einrichtung sehr
schnell die außerordentlichen Begabungen des lernwilligen Schülers erkennt und fördert. Sie erzählt von der Begegnung mit einem Mentor, dem Lehrmeister in der
Maschinenfabrik, die zum Bruderhaus gehört. Eine Begegnung, die Maybachs Leben komplett verändern
wird. Denn von nun an folgt der junge Wilhelm nicht nur seiner wahren Berufung,
sondern auch seinem Gönner in ein Abenteuer, das nicht nur Automobilgeschichte
schreiben wird. Der Name seines Mentors und lebenslangen Freundes: Gottlieb
Daimler.
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Ein liebevoller Blick zurück in die Blütezeit der Automobile. |
35 Jahre lang treibt das kongeniale Gespann die technische
Entwicklung zu Land, Wasser und in der Luft voran: Daimler als visionärer
Ideengeber, Maybach als genialer Konstrukteur. Für Wilhelm Maybach wird es eine
Reise voller Höhen und Tiefen. Auf konstruktive Geniestreiche folgen
geschäftliche Niederlagen, auf hohe gesellschaftliche Ehrungen folgen
große private Dramen wie die Ermordung eines Sohnes durch die Nazis, auf
den späten Aufstieg zum Millionär folgt die Weltwirtschaftskrise, die Maybach das
gesamte Vermögen wieder raubt.
Und wie auf jeder ordentlichen Heldenreise treffen die
beiden Helden auf ihrem Weg auf erbitterte Gegner ihrer Visionen, aber auch auf begeisterte
Unterstützer ihrer Ideen. Einer davon ist Ferdinand Graf von Zeppelin, für
dessen Luftschiff LZ 1 Wilhelm Maybach den ersten Daimler-Motor konstruiert.
Der Tod von Gottlieb Daimler ist ein herber Schlag für Wilhelm
Maybach. Innerhalb eines Jahres vollendet Maybach den Lebenstraum seines Freundes
und entwickelt das erste Hochleistungsfahrzeug, einen tiefliegenden Rennwagen
mit einem 35 PS Vierzylinder, zwei Vergasern, Zahnradgetriebe und dem noch heute
aktuellen Bienenwabenkühler. Benannt wird der in zahlreichen Rennen
erfolgreiche Wagen nach der Tochter des österreichischen Auftraggebers:
Mercedes. Nur wenige Jahre später krönt Maybach den damaligen Automobilbau mit
einem Sechszylinder-Rennmotor, der mit obenliegender Nockenwelle, hängenden
Ventilen und Doppelzündung erstaunliche 120 PS leistet.
Konstruiert wurde das technische Meisterstück gemeinsam mit
einem deutlich jüngeren Weggefährten Maybachs: Wilhelms ebenso genialem Sohn
Karl, der nach seinem Maschinenbau-Studium als hochtalentierter Versuchsingenieur
in die Daimler-Motoren-Gesellschaft DMG eingestiegen ist. Die Reise nimmt eine
weitere Wendung.
Es folgen turbulente Jahre. Im Ärger verlässt Maybach die
DMG und gründet zusammen mit seinem Junior die Luftfahrzeug-Motorenbau-GmbH,
später unbenannt in Maybach Motorenbau, der Geburtsstunde des berühmte MM
Markenzeichens. Statt der bisher verwendeten Vierzylinder setzt Karl Maybach
auf die weit kultivierteren und laufruhigen Sechszylinder-Motoren, die sich
deutlich besser für Luftschiffe eignen, deren Aufstieg von Graf Zeppelin
unermüdlich vorangetrieben wird.
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Eingemauert, um den 2. Weltkrieg zu überleben: Ein Maybach SW 38. |
An dieser Stelle verlassen wir die luftige Reise und folgen unten
auf dem wachsenden Straßennetz dem langgehegten Traum Karl Maybachs: dem Bau von
Automobilen. Nicht irgendwelchen, sondern den schönsten, größten und technisch perfektesten, die die Welt
je gesehen hat. Wie formuliert es die Broschüre des Maybach Zeppelin so
selbstbewusst: „Nur Bestes aus Bestem zu schaffen, von dauerndem Wert, in
höchster Vollendungsform neuen Entstehens.“ Ein hoher Anspruch, aber auch
einer, den der geniale Perfektionist Maybach einlösen wird.
Die
konstruktive Basis der Maybach-Fahrzeuge bilden die potenten und laufruhigen
Sechszylinder aus dem Luftschiffbau. Nachdem sich für die in Serie
hergestellten Motoren kaum Abnehmer in der Fahrzeugindustrie finden, feiert 1921
der erste Maybach auf der Deutschen Automobil-Ausstellung in Berlin Premiere.
Mit seinem 5,7 Liter Motor, 70 PS und innovativer Vierradbremse mit
ausgeklügeltem Bremskraft-Ausgleichssystem zählt der M 3 auf Anhieb zu den
hochwertigsten und technisch vollkommensten Luxuswagen seiner Zeit. Gebaut wird
ausschließlich auf Bestellung und in Handarbeit, die Aufbauten liefern
renommierte Karosseriebaufirmen wie Auer, Erdmann & Rossi, Gläser und
Spohn. Auf die Sechszylinder-Typen folgt 1929 der erste deutsche Zwölfzylinder,
und der ein Jahr später vorgestellte Maybach Zeppelin bildet für ein Jahrzehnt
die Krone des deutschen Automobilbaus. Mitten im zweiten Weltkrieg endet die Ära der
Maybach-Wagen, nur 1.800 dieser legendären Meisterwerke werden gebaut. Und
bilden den Mythos Maybach, den heute schätzungsweise nur noch 160 Exemplare lebendig
halten.
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Automobil? Kunstwerk? Automobiles Kunstwerk. |
Man
muss kein Maybach Enthusiast sein, um einen Maybach als Kunstwerk zu begreifen.
Man muss nur einen Blick auf die zahlreichen, ebenso liebe- wie kunstvoll
gestalteten Details werfen: Auf die wunderschönen Instrumente in ihren
Chromringen, die das massive Lenkrad umrahmen, auf die feinen Türverkleidungen
aus rotem Leder, auf spiegelnde Lackoberflächen und Echtholzeinlagen, die ein äußerst
harmonisches, sinnliches Ganzes formen - ein Maybach kein gewöhnliches Automobil, sondern
ein automobiles Kunstwerk, zu dem jeder Besitzer eine innige, fast familiäre Beziehung pflegt.
Erleben
kann man die faszinierende Aura dieser technischen Meisterwerke noch heute, und zwar an einem Ort mit einer ebenfalls langen Geschichte: den ehemaligen
Express Werken in Neumarkt/Oberpfalz, in deren Hallen von 1884 bis 1959
Fahrräder, Mopeds und Motorräder gebaut wurden. Ihnen zu Ehren ist übrigens
eine kleine Sonderausstellung im gewidmet, die ebenfalls sehenswert ist.
Das Besondere
am Maybach Museum ist jedoch, dass hier jedes einzelne Exemplar seine eigene Geschichte
erzählen kann. Es sind fesselnde Geschichten aus einer abenteuerlichen Zeit,
die als das goldene Zeitalter der Automobile gilt. Sie erzählen von genialen
Konstrukteuren, deren imposante Schöpfungen nicht auf Effizienz getrimmt sind, sondern mit Leidenschaft, Innovationsgeist, Perfektionsstreben und einer deutlich sichtbaren Liebe zum
Detail entstehen, und deren Erbauer
ihren persönlichen künstlerischen Neigungen nahezu ungehindert Ausdruck
verleihen konnten - vorausgesetzt, das Bankkonto der oft exzentrischen Käufer war gut gefüllt.
Es sind
Geschichten von Bischöfen, Grafen, Prinzen und Prinzessinnen. Wie die vom
„Schwarzen Prinz“, dem Star des Genfer Automobilsalons von 1938, der nach dem 2.
Weltkrieg von der Witwe des Erstbesitzers an einen deutschen Rechtsphilosophen
verkauft wurde. Dessen Liebe zu diesem außergewöhnlich eleganten Einzelstück ging
so weit, dass er sein Studium unterbrach und eine Lehre als Kfz-Mechaniker
absolvierte, um seinen geliebten Maybach selbst warten zu können. Oder die
Geschichte vom weißen Zeppelin Cabriolet, das 1930 an einen Freund Wilhelm
Maybachs nach Venezuela verkauft wurde. Bis 1939 wurde der weiße Maybach Jahr
für Jahr von Südamerika nach Europa verschifft, damit die Familie des Besitzers
ausgedehnte Reisen in der alten Heimat unternehmen konnte, die dann regelmäßig im
Palace Hotel in Gstaad endeten.
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Ein wunderschöner schwarzer Prinz. |
Wer
sich auf die Spuren des Mythos Maybach begeben will, muss keine Heldenreise auf
sich nehmen. Mit dem Auto oder der Bahn ist das Museum für historische
Maybach-Fahrzeuge in Neumarkt in der Oberpfalz leicht zu erreichen. Um am Ende der Reise seinen
Fuß in eine andere Welt zu setzen. Für Anne und Dr. Helmut Hofmann, den
Besitzern, Kuratoren und Maybach-Jägern und Sammlern ist es wichtig, dass sich
an diesem geschichtsträchtigen Ort, an dem historische Bausubstanz und moderne
Architektur stilvoll verschmelzen, nicht nur die automobilen Persönlichkeiten
wohlfühlen, sondern auch die Besucher. Sie sollen sich gerne die Zeit nehmen,
die kostbaren Zeitzeugen zu betrachten und ihren Geschichten zu lauschen.
Und
da wir gerade bei Geschichten sind: Wie viel Schweiß, Zeit, Geld und Nerven der
nicht ganz hindernisfreie Weg zur Realisierung ihres musealen Herzensprojekts
gekostet hat, davon können die sympathischen Hofmanns ebenfalls eine Menge erzählen. Ein Weg, der in
vielen Jahren zu ihrer kleinen, ganz persönlichen Heldenreise geworden ist.
http://www.automuseum-maybach.de/
Alle Fotos:
http://danielahaug.com/