Autonomes Fahren vs. Autonom fahren.
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(Foto: Daniela Haug) |
Da ich relativ viel für Automobilhersteller und -zulieferer arbeite, durfte
ich kürzlich wieder mal in einem kurz vor der Präsentation stehenden großen
deutschen Automobil eines großen deutschen Automobilherstellers Platz nehmen.
Richtiger: Mich in ein mit feinstem Leder bezogenes und mit fünf
Massageprogrammen ausgestattetes Luxus-Fauteuil sinken lassen. Als der
großformatige Bildschirm des Multimediasystems aufleuchtete, wurden meine Augen
von einer bisher ungesehenen Fülle von Fahrerassistenzsystemen gefesselt.
Schon beim Lesen des Pressetextes hatte mich das Gefühl beschlichen,
dass dieses Automobil nicht nur profane Fahrten wie die zum nahen Supermarkt
beherrscht, sondern auch bei plötzlichem Ausfall der erdeigenen
Gravitationskraft das vollautomatische Andocken an die ISS International Space
Station ermöglicht. Von der Rechenkapazität und Systemkomplexität dieser
Limousine hätte die Besatzung von Apollo 11 nicht zu träumen gewagt.
Zahllose Kameras, darunter eine Wärmebildkamera, diese wiederum
flankiert von mehreren Radarsensoren, beobachten unablässig das Geschehen rund
ums Auto. Bis sie irgendwann in Zukunft das Fahrzeug autonom bewegen dürfen, vertreiben
sich die damit verbundenen Assistenzsysteme die Zeit mit niederen Aufgaben, registrieren und korrigieren jede
unbeabsichtigte Lenkbewegung, warnen vor Fahrzeugen im toten Winkel, vibrieren
beim blinkerlosen Verlassen von Fahrspuren oder parken selbsttätig ein.
Komplexe vernetzte Abstandsregelsysteme greifen im gesamten
Geschwindigkeitsbereich von 0 bis 250 km/h ins Geschehen ein. Andere
Steuergeräte erkennen im Zusammenspiel mit dem Navigationssystem den Verlauf
der Fahrstrecke bereits im voraus und kooperieren dabei eng mit anderen
Fahrerassistenzsystemen, aber auch mit dem Fahrwerk. Verständlich - schließlich
kann man als intelligentes Auto ja nie wissen, was der still vor sich hin
dösende Fahrer in der nächsten Kurve wieder für Dummheiten macht. Mit über 30
Steuergeräten analysiert das System permanent das gesamte Umfeld dieser
Oberklasselimousine, damit man „unter elektronischer Kontrolle stets souverän
unterwegs“ ist. So lautete übrigens bereits das Credo (lat. von „ich
glaube“) der voran gegangenen Pressekonferenz.
Damit kein Missverständnis entsteht: Automobilen Innovationen stehe ich
seit jeher mehr als aufgeschlossen gegenüber, und selbst die absurdesten
elektronischen Spielereien können zuverlässig auf meine ungeteilte
Aufmerksamkeit zählen.
Aber nach dem sich der „Ist das neu? Toll! Und wie funktioniert
das?“-Effekt verflüchtigt hat, stellt sich mir unweigerlich die nächste Frage:
Erhöht das neue Feature meinen Fahrspaß?
In aller Regel lautet die Antwort: Nein, erhöht es nicht. Im Gegenteil.
Fast alle Neuerungen betreffen die Kapitel Komfort und Sicherheit, und
das mag auch alles gut und richtig sein. Aber wo es um fahrdynamische
Optimierungen geht, da dreht es sich meist um die notwendig gewordene
Beherrschung einer anscheinend unaufhaltsam an Größe und Gewicht zunehmenden
Fahrzeugmasse. Die zudem so übermäßig motorisiert ist, dass sie wiederum von
den elektronischen Helfern im Zaum gehalten werden muss.
Fragt sich nur, wo der Spaß am Fahren bleibt.
Er vegetiert vielleicht noch in Marketingbegriffen wie „Driving Experience“
dahin, im Auto selbst existiert er zunehmend als computergesteuerte
Ersatzemotion und nicht als unmittelbare sensorische Erfahrung.
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(Foto: Daniela Haug) |
Natürlich definiert jeder den Begriff Fahrspaß anders, und nicht jeder
empfindet die Erbarmungslosigkeit, mit denen der Schalensitz eines Caterham 7
seinen Fahrer umklammert, als reizvolle Alternative zum lordosenstützenden
Massagesessel. Aber für die Suche nach dem verschwundenen Fahrspaß sind
kompromisslos konstruierte Fahr-Zeuge wie die diversen Super 7 Nachbauten am besten
geeignet.
Ich fahre die verschiedenen halbtonnenleichten Ausbaustufen von 84 bis zu
getunten 300 PS seit über drei Jahrzehnten. Und meistens bin ich damit im
europäischen Alpenraum unterwegs. Vor lauter Vorfreude kann ich mich morgens
schnell genug ins enge Cockpit zwängen, und kaum habe ich die Hosenträgergurte
angepasst und den Motor gestartet, überrollt mich schon eine erste Welle des
Glücks - dabei bin ich noch gar nicht losgefahren.
Wie kommt es, dass ein so kleines Auto so dermaßen große Gefühle
erzeugen kann?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den Blick zunächst auf ein
jedem Fahrer inhärentes System lenken, das jedes einzelne der aktuellen Regel-
und Steuersysteme zu kruden Steinzeitwerkzeugen degradiert:
Das zentrale Nervensystem des Menschen.
Es integriert alle sensiblen Reize aus unserer inneren und äußeren
Umgebung, koordiniert sämtliche motorischen Eigenleistungen und reguliert alle
dabei ablaufenden innerorganischen Abstimmungsvorgänge. Und das in einer so
unnachahmlichen Art, dass Experten es völlig zu Recht als das komplexeste
Gebilde im gesamten Universum bezeichnen.
Warum ich dieses einzigartige biologische System unbedingt in einem Auto
abschalten, seine beispiellosen Fähigkeiten beschneiden bzw. an ein
nachrangiges elektronisches System delegieren soll, liegt weit jenseits meines
Verständnisses. Ich will es fordern, spüren, erleben, und zwar in seiner
Ganzheit.
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(Foto: Daniela Haug) |
Der Caterham 7 und seine artverwandten Brüder glänzen durch die völlige
Abwesenheit von Fahrerassistenzsystemen - selbst ABS, Servolenkung oder
Bremskraftverstärker fehlen. Sie fehlen, aber sie werden nicht vermisst. Warum
auch? Den Raum, den sie nicht benötigen, nehmen die sensorischen und
feinmotorischen Fähigkeiten des Fahrers gerne ein. Die, das muss man an dieser
Stelle unbedingt erwähnen, dadurch ständig trainiert werden, so wie ein guter
Muskel.
Jeder Sinnesreiz wird unverfälscht und ungefiltert wahrgenommen, jede
Aktion produziert unmittelbares Feedback. Mit etwas Erfahrung vermag das rechte
Bein den Bremsdruck feinfühlig an der Haftgrenze entlang zu dosieren, klackt
der Arm auf ultrakurzen Wegen den Schaltknauf durch die Gänge, wird eine kaum
wahrnehmbare Bewegung des Handgelenks vom winzigen Lenkrad ansatzlos in
präzises Einlenken umgesetzt, steuert der sensible Gasfuß den Kraftfluss genau
an die Stelle, wo -ganz ohne bremsenden Eingriff einer elektronischen
Stabilitätskontrolle- die gewollte Erkundung des Grenzbereichs einsetzt und man
am Kurvenausgang verblüfft eine unerwartete Leichtigkeit des Schnellseins
registriert.
Das ist für mich genau der Moment, wo Fahren zum sinnlichen Erlebnis
wird, wo Glücksgefühle maximiert werden, wo Hirn und Herz in
Sekundenbruchteilen erobert sind und der Begriff Fahrspaß nicht von
Fahrerassistenzsystemen, sondern vom Fahrer selbst definiert wird.
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