Aus der Reihe "Grosses Kino": Roding und der Ring der Sachsen.


(Foto: Daniela Haug)

Die Einladung kam per E-Mail, und sie lautete: Ob ich nicht Lust hätte, den Prototypen des neuen Roding auf dem Sachsenring probezufahren.

Den neuen Roding?

Bislang war ich der festen Überzeugung, so ziemlich jeden Hersteller des automobilen Universums namentlich zu kennen. Aber Roding? Dahinter vermutet man weniger eine bislang unbekannte Sportwagen-Manufaktur als -na, sagen wir mal:- eine Provinzstadt im oberbayerischen Wald.

Ich google: Roding ist eine Provinzstadt im oberbayerischen Wald. In Roding wird der Roding gebaut.

Nun sind Namen, wie der Volksmund so schön sagt, ohnehin Schall und Rauch, und an Roding kann man sich duchaus gewöhnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass seine Wiege auch in Wipperfürth oder Wanne-Eickel hätte stehen können („Ich fahre einen Wanne-Eickel“).

Der visuelle Erstkontakt findet ebenfalls im Internet statt, und ich würde lügen, wenn ich behaupte, es wäre Liebe auf den ersten Klick. Massenkompatible Ästhetik sieht anders aus. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich es durchaus begrüße, wenn Design polarisiert. Auch wenn ich es zunächst als gewöhnungsbedürftig, irritierend oder gar verstörend empfinde, eines kann ich polarisierendem Design nicht vorwerfen: langweilig zu sein.

Das Design des Roding erzeugt Spannung. Es polarisiert. Es polarisiert sogar sehr. So sehr, dass ich auch nach intensivem auf-mich-einwirken-lassen nicht weiss, ob mir seine Form nun gefällt oder nicht.

Doch wie ich ein paar Tage später in der Boxengasse des Sachsenrings mit Erstaunen registriere, irritiert mich die ungewöhnliche Formensprache des Roding auf Fotos weit mehr als auf Asphalt. Ein unerwarteter Effekt - ein bisschen so, als wäre man durch die Fotoalben einer Internet-Partnerbörse gescrollt und hätte einen möglichen zukünftigen Lebensgefährten aufgrund seines irritierenden Aussehens mit einem schnellen Mausklick verworfen. Dann trifft man dieselbe Person beim Speed-Dating, lässt sich von ihrer nicht zu ignorierenden Offenheit, Direktheit und Charakterstärke faszinieren und verabredet auf der Stelle ein weiter gehendes Kennenlernen. Und spätestens beim dritten Mal will man mit ihr ins Bett.

Damit mit dem Bett nicht das Kiesbett neben der Rennstrecke gemeint ist, hat ein menschlicher Drehzahlbegrenzer in Form eines Instruktors auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Während ich mich voller Drehfreude in Schalensitz und Vierpunktgurt einfädele, weist er mich ebenso freundlich wie bestimmt auf die unsichtbare rote Linie im Drehzahlmesser hin: 4.500 U/min und keine Umdrehung mehr. Was kein Problem darstellt, denn ich weiss, dass das 305 PS starke 5-Zylinder-Turbotriebwerk vom Ford RS bereits ab 1.500 Kurbelwellenumdrehungen vehement anschiebt. Davon abgesehen fördert das kurvenreiche Auf und Ab des Sachsenrings durchaus eine übermotivierte Fahrweise heraus, und ich möchte nicht derjenige sein, der den kostbaren Prototypen in die Leitplanken feuert.

Ein Super-Seven-Pilot empfindet den Einstieg in den Roding als leicht, alle anderen werden sich über die tieferen Türausschnitte des Serienfahrzeugs freuen. Hat man aber erst einmal Platz genommen, schmiegt sich das Interieur geradezu an den Fahrer an, ohne dass dabei ein Gefühl von Enge aufkommt. Der Roding sitzt wie angegossen.

Es kann losgehen. Der erste Gang des manuellen Sechsgang-Getriebes rastet weich ein, die Kupplung kommt mit kurzem Weg, und schon rollt der Mittelmotor-Roadster heiser röhrend aus der Boxengasse. Zeit für ein paar Eckdaten: Das Kampfgewicht des Zweisitzers beträgt dank carbonfaserverstärktem Monocoque und der Aluminium Spaceframe Bauweise von Vorder- und Hinterwagen niedrige 950 kg, das Leistungsgewicht liegt bei nur 2,79 kg/PS. (Zum Vergleich: Der flügeltürige Mercedes SLS mit dem 571 PS starken 6,3-Liter-AMG-V8 kommt auf 2,84 kg/PS.) Noch vor dem Serienstart im Juni 2011 wird übrigens ein etwas leistungsstärkeres Triebwerk verbaut, das den Roding in 3,9 sec auf 100 km/h und weiter auf eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h beschleunigen wird.

Davon bin heute allerdings noch weit entfernt. Aber wiederum nicht so weit, als dass ich mir nicht lebhaft vorstellen könnte, dass dieser noch etwas leistungsgeschwächte Vorserien-Prototyp den Sachsenring bereits in 1:38,16 umrundet hat (den Rundenrekord für Supersportwagen hält ein mehr als doppelt so starker Lamborghini Murcielago mit 1:36,29). Aber, strahlt mein rennsporterfahrener Instruktor, mit dem Roding hier, da geht noch was. Ich zweifele keine Zehntelsekunde.

Der Sachsenring ist eine anspruchsvolle Strecke, wie geschaffen für eine intensive Kontaktaufnahme mit Strasse und Fahrzeug. Der Roding legt ein ungewöhnlich präzises und direktes Handling an den Tag, was umso mehr erstaunt, als es sich noch um ein Vorserien-Fahrzeug handelt. Das liegt natürlich zum einen an der hochfesten, aus Carbonfaser gefertigten Fahrgastzelle, zum andern aber auch daran, dass am mehrfach einstellbaren Fahrwerk ein Entwickler beteiligt war, der seit 30 Jahren Fahrwerke baut; unter anderem für die Formel 1.

Begleitet vom herrlich dreckigen Sound des Fünfzylinders geht es in die dritte Runde, und wie schon in den beiden Runden zuvor muss mich der Instruktor sanft einbremsen. Durch den quer eingebaute Mittelmotor erfordere der Roding im Grenzbereich deutlich schnellere Reaktionen als ein Super Seven, sorgt er sich. Beunruhigen kann mich das nicht. Erstens spüre ich, dass ich die enormen Sicherheitsreserven des Fahrwerks noch nicht einmal annähernd ausreize, und zweitens macht der Roding einfach viel zu viel Spaß, um nicht ab und zu mal das Gas stehen zu lassen. Ich finde, er fordert es geradezu ein, und wer bin ich, ihm diese Freude am Fahren zu verweigern. Mein Grinsen passt kaum ins Cockpit, so breit ist es.

Nach der obligatorischen Abkühlrunde biegen wir mit unserem oberpfälzischen On-Road-Entertainment-System viel zu früh wieder in die Boxengasse ein. Hier werde ich die nächsten Stunden damit verbringen, mich von den begeisterten jungen Konstrukteuren noch weiter begeistern zu lassen. Schon nach kurzer Zeit bin ich felsenfest davon überzeugt, daß der größte Teil des Roding aus carbonfaserverstärktem Enthusiasmus und der Rest aus einer neuartigen Adrenalin-Endorphin-Verbundbauweise besteht.

Gemeinsam umkreisen wir den Roadster, folgen der Form, die der Funktion folgt. Der Roding wird für mich verbal zerlegt und wieder zusammengebaut, es werden Zug- und Druckstufen verstellt, das Untersteuern ins Übersteuern verlagert, Vor- und Nachteile des Mittelkmotorkonzepts analysiert, mögliche Querbeschleunigungen projiziert und die aerodynamische Umströmung von Festkörpern diskutiert. Ich kann mich der Begeisterung der frisch gebackenen Kleinserien-Hersteller nicht entziehen, und ich will es auch gar nicht. Es ist einfach faszinierend, was diese ehemaligen Studenten und hochmotivierten Formula Student-Konstrukteure der TU München im Verbund mit zwei rennsporterfahrenen Unternehmern aus ungezügelter Begeisterung für automobilen Fahrspaß auf die Räder gestellt haben. Und das innerhalb weniger Jahre. Respekt.

Zum Abschluss des Test-Tages ein kurzer Blick in den Juni des kommenden Jahres, dem offiziellen Premieretermin des Serien-Rodings. Der Vorserien-Prototypen, den ich gefahren habe, wird noch von einem fünfzylindrigen Ford-Motor angetrieben. In den kommenden Wochen wird dieses Aggregat durch ein leistungsstärkeres Großserien-Triebwerk eines anderen Herstellers ersetzt. Auch bei der Formensprache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Roding des Jahres 2011 wird außer dem üblichen Feinschliff und den noch notwendigen Abstimmungsarbeiten ein paar deutlich sichtbare Änderungen am Exterieur erfahren; insbesondere im Heckbereich legen die Designer noch einmal kräftig Hand an.

Wer nun befürchtet, die kontrovers diskutierte Form eines Roding könnte durch diese Modifikationen in Zukunft weniger polarisieren, den kann ich an dieser Stelle beruhigen.

Seelenlose Marketingmobile können die in Roding gar nicht bauen.

http://www.roding-automobile.de

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