Unsere Stadt soll schöner werden.


In der Nachbarschaft der Mitte der Großstadt, in der ich lebe, sieht es so aus wie in jeder Nachbarschaft jeder Mitte jeder Großstadt: kein freier Meter Asphalt neben dem Gehsteig, gnadenlos zugeparkte Strassen, unermüdlich kreisende Autos auf der verzweifelten Suche nach dem letzten freien Stellplatz, das Ganze lückenlos überwacht von provisonsmotivierten Hüterinnen kommunaler Parkraumbewirtschaftung - ein Bild, mit dem jeder Großstadtbewohner leben muss.

Über die Ästhetik dieses Bildes -und nicht etwa den innerstädtischen Parkplatzmangel- mache ich mir zunehmend Gedanken. Initiiert wurden diese von drei Automobilen, deren Besitzer irgendwo in meiner Nachbarschaft wohnen, und die wie Leuchtfeuer aus dem graumetallicfarbenen Einheitsbrei moderner Personenkraftwagen ragen:

Ein himmelblauer NSU Ro 80, vor über 40 Jahren vom Designer Claus Luthe als stilprägender Impuls gezeichnet, dessen revolutionäre Form keilförmig und konsequent das Erscheinungsbild ganzer Fahrzeuggenerationen geprägt hat.

Ein Reliant Scimitar GTE, trotz leichter Verrottungserscheinungen seiner ehemals cremefarbenen, glasfaserverstärkten Kunststoffkarosserie noch immer die Inkarnation eines eleganten Shooting Brake stolz verkörpernd.

Ein british-racing-greener Mini im Rallyedress, der erstaunlich kurz und klein auf seinen Minilites kauert, anscheinend einer der letzten gebauten, von Sir Alec Issigonis entworfenen Originale.

Da stehen diese drei Persönlichkeiten also an wechselnden Standorten und sorgen allein durch ihr nachbarschaftliches Dasein dafür, dass ich die meisten ebenso aktuellen wie austauschbaren Vertreter der oberen Durchschnittsklasse nur bedauern muss, denen jedes Quentchen Persönlichkeit ausgetrieben und stattdessen die unerträgliche Wichtigkeit des Seins ins automobile Gesicht geschrieben wurde.

Wenn ich mich in diesem Zsaummenhang an meine frühen zwei- und vierrädrigen Fehlkäufe aus der ehemaligen Fahrzeugbausparte der Kritischen Inseln erinnere: Nein, damals war nicht automatisch alles schöner und besser, und auch die Publikumsströme, die zu den zahllosen Veteranen-Veranstaltungen pilgern, können nicht darüber hinweg täuschen. Aber trotzdem, wo sind sie bloss geblieben, die Leichtigkeit, das Spielerische, das Revolutionäre, der Charakter, die Individualität, der Sinn für Schönheit? Gut, über Geschmack lässt sich streiten, aber die Retromobile, die heute aus allen erdenklichen Richtungen auf den Massenmarkt geworfen werden, sind nur ein lahmer Abklatsch vergangener Faszination, ein müder Ersatz für mutiges Denken. Hoffnungsschimmer blitzen nur vereinzelt auf, zuletzt kam einer aus Genf, vom Alfa Romeo Stand.

Doch zurück zum vom belanglosen Stahlblech geprägten Strassenbild in meiner Nachbarschaft: Was wäre es herrlich, nicht einfach nur schnell und abgewandten Blickes nach Hause gehen zu müssen, sondern genüsslich an immer wieder neuen Vertretern automobiler Persönlichkeiten entlang zu schlendern! Da muss es nicht gleich so aufregend und animierend zugehen wie in der Innenstadt von Brescia kurz vor dem Start zur Mille Miglia, aber.... wieso aber?

Wieso eigentlich nicht?

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