SaddleSore 1000 in Malaysia. Oder: Auf der Suche nach den eigenen Grenzen.
Selbst das fahle Morgenlicht scheint den feuchtwarmen Aggregatzustand
der umgebenden Treibhausluft angenommen zu haben. Träge vermischt es sich mit
dampfenden Nebelfetzen, die sich mit einer tiefhängenden Wolkendecke verbinden,
und schält dabei zögernd das graue Asphaltband, das uns an die Ostküste
Malaysias führen wird, aus dem undurchdringlichen Grün des tropischen
Regenwalds.
Zu dieser frühen Morgenstunde sind wir noch ziemlich alleine unterwegs,
wir können die BMW und die Kawasaki von der Leine lassen. 400 nächtliche
Kilometer liegen bereits hinter uns, und für die restlichen 1300 km zurück nach
George Town bleiben Joachim und mir noch beruhigende 19 Stunden. Viele davon
bleiben unvergesslich: Die Fahrt
über die grandiose Berg- und Talbahn zum Beispiel, die uns gerade durch einen
der ältesten Regenwälder der Erde führt, erweist sich als nachhaltig
beeindruckendes Naturerlebnis. Ich genieße die aufkommenden Glücksgefühle in vollen
Zügen, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, es gibt nicht das eine, große
Glück. Es gibt viele Glücks, die meisten klein, andere groß, man muss sie nur
suchen. Und manchmal findet man sie sogar.
Irgendwo da drin befindet sich eine Straße.
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Um das Motorradglück perfekt zu machen,
hat der tropische Fön unsere malerische Reiseroute zum großen Teil vom
nächtlichen Regen befreit, nur wenige Abschnitte sind noch tückisch feucht. Die
Asphaltdecke befindet sich in erstaunlich gutem Zustand, die meisten Kurven
öffnen sich weit und unsere Bikes lassen sich fahren wie auf einer Rennstrecke.
Auch wenn wir dabei die unverbindlich empfohlene Landstraßen-Geschwindigkeit
mal mehr, mal weniger weit hinter uns lassen, rasen wir nicht, wir reisen. Denn
so attraktiv die Route Nr. 4 ist, sie fordert unsere volle Konzentration. Ab
und zu überrascht uns ein liegengebliebener Uralt-LKW, der mit mächtigen
Wurzeln herausgebaggerter Tropenbäume überladen wurde, dann wieder müssen wir
um überfahrene Affen herumkurven, Haken um herabgefallene Äste, abgerissene
Lianen und sogar um eine leblose Riesenschlange schlagen, die sich nicht
schnell genug vor den heran nahenden Holztransportern auf die andere
Straßenseite retten konnte.
Ein kurzer Rückblick auf den Wecker. Ich gehöre nicht zu den
Menschen, die frisch und fröhlich um 3 Uhr nachts aus dem Bett hüpfen. Doch
Joachim, der unseren SaddleSore initiiert hat und die Streckenführung
übernehmen wird, konnte mich mit einem schlauen Plan ködern: Wenn man noch in
der malaysischen Nacht startet, auf dem mehrspurigen Expressway hoch zur
thailändischen Grenze fährt, dann umkehrt und sich erst bei Tagesanbruch auf
den Weg durch den Regenwald macht, senkt man das Risiko quasi auf Null, in der
tiefen Dunkelheit einer unbeleuchteten Dschungelstraße auf einen ebenso unbeleuchteten Elefanten zu treffen. Also spät abends
einen der beiden Koffer gepackt, die Joachim ans Heck seiner BMW 800 GS
einklinkt, den Wecker auf 03:00 Uhr gestellt und voller Vorfreude und
Tatendrang eingeschlafen. Nach einer kurzen Nacht und zwei Tassen Kaffee stehen
wir pünktlich um 03:50 Uhr an der nächstgelegenen Zapfsäule, um uns
ordnungsgemäß die erste Beweisquittung mit Ort, Datum und Uhrzeit ausdrucken zu
lassen. Start frei für den SaddleSore, die Uhr läuft.
In schlaftrunkenen
Augen die Frage nach dem Warum.
Es gibt leichtere Aufgaben, als einen SaddleSore in Malaysia
zu absolvieren. Im bequem gepolsterten Sofasattel einer Harley beispielsweise,
deren großvolumiger V2 den sonnenbebrillten Iron Butt-Aspiranten auf einem der
endlos langen kalifornischen Highways in den rotglühenden Sonnenuntergang eines
amerikanischen Westerns stampft. The lonesome rider, born to be mild.
Ich habe viele begeisterte Berichte von kalifornischen
SaddleSore Finishern gelesen, aber ich kenne auch die Reportage eines
britischen Motorrad-Journalisten, der sich so eine Tortur nie, nie wieder antun
will. Am Ende mussten ihn herbeieilende Helfer vom Motorrad heben. Zugegeben,
der gute Mann hat die Strecke komplett im strömenden englischen Regen gefahren,
so etwas kann auf Dauer zermürben.
Aber auch wir sind nicht in Kalifornien. Wir befinden uns in
Malaysia. Und in Malaysia regnet es ebenfalls oft. Und heftig. Sehr, sehr
heftig. Auch die Monsunwarnung für die Ostküste ist uns nicht verborgen
geblieben. Vielleicht stand deshalb in den schlaftrunkenen Augen von Daniela,
die unsere Abfahrt mit ihrer Unterschrift bezeugt, die unausgesprochene Frage:
Warum?
Eine Frage, die durchaus berechtigt ist. Gerade für
Nicht-Biker hört sich so ein SaddleSore ein bisschen extrem an. Extrem
anstrengend, extrem sinnlos, extrem langweilig oder extrem unvernünftig, je
nach Perspektive. Über 1000 Meilen in unter 24 Stunden? Auf einem Motorrad? In
den Tropen? Weiß die Heimleitung davon?
Blick ins Innere. |
Aber was soll man machen, wenn man eine dieser unbekannten inneren
Grenzen unbedingt kennenlernen will? Ganz einfach, man fährt hin und schaut sie
sich an. Auf der 1000 Meilen langen Herausforderung lassen sich zudem viele
andere interessante Fragen beantworten: Kann man tatsächlich Motivation,
Konzentration und Kondition über maximal 24 Stunden Motorradfahrt aufrecht
halten? Sind Körper und Geist zu pausenloser Aufmerksamkeit und
Reaktionsschnelligkeit fähig? Reichen unsere handwerklichen Fertigkeiten aus, technische
Probleme am Straßenrand und unter Zeitdruck zu beheben? Wie weit werden uns Tropenklima,
Straßenzustand, Verkehrsdichte oder andere Widrigkeiten zermürben? Wird dieser
SaddleSore zu einer echten Grenzerfahrung werden? Und wenn, wie gehen wir mit dieser
Grenze um? Akzeptieren oder ausweiten? Wir sind auf unsere eigenen Reaktionen
gespannt.
Der Weg ist das Ziel.
Wir verlassen George Town, die quirlige Hauptstadt
des Bundesstaates Penang, über eine fast 14 Kilometer lange
Schrägseilbrücke, die die gleichnamige Insel mit dem malaysischen Festland
verbindet. Joachim hat seine BMW mit einem Navi ausgerüstet, das bereits unsere
gesamte Route in sich trägt. Zunächst leitet es uns kurz hinter Butterworth auf
einer stockdunklen Autobahn in Richtung Norden. Bitte fahren Sie weiter, hier gibt
es nichts zu sehen: Eine pechschwarze Nacht hat die unendlichen Reisfelder
verschluckt, die sich von Penang bis hinein nach Thailand ziehen, und die
tanzenden Lichtkegel unserer Bikes schälen nicht viel visuell Interessantes aus
der Dunkelheit. Irgendwo am Horizont liegt ein Gewitter in den letzten
Zuckungen.
Vor dem thailändischen Grenzübergang drehen wir um und holen
uns an der nächsten geöffneten Tankstelle zu Literpreisen von unter 40 Cent
eine Tankfüllung Super und die gedruckte Bestätigung, dass wir den nördlichsten
Punkt unserer Rundreise erreicht haben. Dann geht’s an der Westküste entlang zurück
nach Süden, um mit einsetzendem Tageslicht die berauschend schöne Strecke durch
die großartige Natur der nördlichen Halbinsel in Angriff zu nehmen.
Die ersten 400 km. Fertigmachen zur Weiterfahrt. |
Wenn der Weg das Ziel ist, dann ist unser Ziel über 1000
Meilen lang. Um es in voller Länge zu erreichen, haben wir maximal 24 Stunden
Zeit, so schreiben es die Regeln der IBA für einen SaddleSore 1000 vor.
IBA? SaddleSore? Lange Fahrt, kurze Erklärung: Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Aufnahmeprüfung in einen Verein, der eigentlich gar keiner ist. Die Iron Butt Association (IBA) ist ein loser Verbund von begeisterten Bikern, die ohne Vereinsleben und ohne Mitgliedsbeiträge auf ihren Motorrädern der Langstrecke frönen. Iron Butts, Eisenärsche eben.
Mittlerweile zählt der ungewöhnliche Club weltweit über
67.000 Mitglieder, die mit mindestens einem SaddleSore 1000 bewiesen haben,
dass sie auf einem Motorrad in weniger als 24 Stunden eine frei wählbare
Strecke von nicht weniger als eintausend Meilen, also knapp 1.610 km, bewältigen
können. Belegt werden muss die Fahrt durch Augenzeugen, Tankquittungen und
GPS-Daten, die von der IBA in einem wochenlangen Prozess akribisch überprüft
werden.
Und was ist der Lohn der Tortur? Ein Eintrag in die Hall of
Fame der „World’s Toughest Motorcycle Riders“ und eine Urkunde, die die
offizielle Aufnahme in die Gemeinschaft der IBA besiegelt. Neidische Zungen
lästern, das wäre wohl so etwas wie das Jodeldiplom in dem Sketch von Loriot: „Da habe ich was in der Hand! Da hab' ich mal
was Eigenes!“ Doch uns geht es nicht um eine Urkunde, uns geht es um
mehr. Es geht um eine Erfahrung. Die Erfahrung der eigenen Grenzen.
Ein Motorrad ist auf unserem Abenteuer nicht nur
unabdingbare Voraussetzung für einen SaddleSore, sondern wäre auch ohne diese
Herausforderung ein idealer Reisebegleiter. Die direkte Verbindung von Mensch
und Maschine, beide auf ihre eigene Art verwundbar, macht die Grenze zwischen
Außen- und Innenwelt durchlässig, kanalisiert die Wahrnehmung und blendet
nahezu alle irrelevanten Informationen aus. Mit jeder kontrollierten Bewegung,
mit jeder unmittelbaren Rückmeldung des Motorrads steigen positive Emotionen
hoch, Glückshormone sprudeln durch den gesamten Körper. Wir sind nur noch
auf die Fahrt fokussiert. Es gibt keine Vergangenheit, die Zukunft rückt
in weite Ferne, auf den nächsten 1000 Meilen leben wir nur im Moment.
Die bei HiddenMalaysia.com gemietete Kawasaki erweist sich dabei
als angenehmer Allrounder. Vielleicht ist der Kniewinkel für meine Größe etwas
zu spitz, die Rückmeldung vom Fahrwerk könnte direkter sein, und die akustisch
modifizierte Auspuffanlage (Schalldämpfer wäre ein völlig unpassender Ausdruck)
fordert lautstark das Tragen von Ohrenstöpseln ein. Dennoch, die 650er Versys zieht
druckvoll von unten raus, positioniert mich durchaus langstreckentauglich und
zirkelt neutral und berechenbar durch die Kurven. Kein Problem, an Joachims
vollausgestatteter BMW 800 GS dranzubleiben.
Ich habe dann doch nicht bei Happy Ken gemietet. |
Die Sinnhaftigkeit
des SaddleSore 1000 ist der SaddleSore 1000.
Kilometer um Kilometer saugen wir die
faszinierende Landschaft in uns auf, tauchen tiefer und tiefer hinein ins
lebendig gewordene Dschungelbuch. Irgendwann überqueren wir die Brücke über den
gewaltigen, von kleinen Inseln übersäten Temenggor-See und schwingen uns kurz
darauf in unzähligen sanften Kehren auf einen über 1000 m hoch gelegenen Rastplatz.
Angenehm kühl ist es hier oben auf dem Kamm der Titiwangsa Range, wo sich ein
herrlicher Blick auf die Bergwelt des letzten großen zusammenhängenden
Dschungelgebiets der malaysischen Halbinsel öffnet.
Dies ist die Heimat der Orang Asli, der
„Ureinwohner“. Die Artenvielfalt in den rund 130 Millionen Jahre alten
Bergwäldern ist einzigartig, unter ihrem Blätterdach leben sogar Tiger und
Elefanten. Kein Wunder, dass engagierte Naturschützer erbittert darum kämpfen, diese
großartige Natur vor weiteren kommerziell motivierten Eingriffen zu schützen. Denn
auch die strategisch wichtige Route Nr. 4, die in den 70er Jahren mühsam in die
bis dahin unzugängliche Bergwelt an der Grenze zu Thailand gebaut wurde, ist
nicht ohne wirtschaftliche Hintergedanken entstanden. Auf der in Malaysias
Norden einzigen Verbindungsstraße zwischen Ost- und Westküste konnten
problemlos die kostbaren Tropenhölzer abtransportiert werden, und streckenweise
zeugen auch heute noch etliche Holzfällercamps vom Raubbau am Tropenwald. Mit
der Einrichtung zweier Nationalparks versuchen Umweltschützer, dem Abholzen des
Regenwaldes und dem darauffolgenden Vordringen der Plantagenwirtschaft
zumindest in dieser abgelegenen Gegend Einhalt zu gebieten. Wie dramatisch sich
das Landschaftsbild durch die öde Monokultur der Palmölwirtschaft wandelt, wenn
Naturschützer nicht eingreifen können, werden wir schon in wenigen Stunden
erfahren.
Auf unserer Fahrt aus der Titiwangsa Bergwelt hinab auf
Meereshöhe berühren wir fast wieder die Grenze zu Thailand, nur 1000
Meter ist sie entfernt. Ein Abstecher ist nicht geplant, außerdem gilt für
Thailands südliche Grenzprovinzen zu Malaysia eine Reisewarnung. Seit
Anfang 2004 verüben hier radikale muslimische Gruppen fast täglich Anschläge,
über das Unruhegebiet wurde deshalb der Notstand verhängt. Wir lassen es weiter
laufen, und es läuft gut. Noch eine knappe Stunde, dann werden wir endgültig
nach Süden abdrehen.
Monsunwarnung.
Es ist früher Vormittag, als wir die Ostküste erreichen.
Hier herrscht eine Luftfeuchtigkeit von 98%, und obwohl sich die Temperatur erst
langsam der 30 C° Marke nähert, schafft sie es bereits problemlos, die
Kombination aus Integralhelm und Schutzkleidung in einen höchst effektiven
Saunaanzug zu verwandeln. Wir trinken oft und viel, aber, wie sich nach unserer
Rückkehr herausstellt, nicht genug. Auch der Verkehr nimmt spürbar zu. Auf der
Küstenstraße reiht sich ein Ort an den anderen, ein Auto an das andere, ein
Kleinkraftrad an das andere. Und wie alle anderen fahren auch wir Slalom,
nutzen jede freie Lücke im Verkehr, kämpfen uns an Ampelkreuzungen inmitten von
Moped- und Roller-Pulks nach vorne, spielen beim Wechsel auf Grün die
Spurtstärke unserer Bikes aus. Auch die ersten heftigen Regenschauer erwischen
uns jetzt. Doch so schnell wie sie gekommen sind, so schnell sind sie wieder
verschwunden. Gottseidank läuft der malaysische Tropenföhn auf Hochtouren,
Hitze und Fahrtwind trocknen unsere Kombis im Handumdrehen.
Es heißt, man fährt, um bei sich anzukommen. Dass wir in
weniger als 14 Stunden bei uns ankommen müssen, setzt uns unter sanften Druck.
Der Blick pendelt zwischen Tacho, Navi und Uhr hin und her, und sobald die Straße
zwischen den kurzen Schauern etwas abgetrocknet ist, erhöhen wir das Tempo. Nur
der Verkehr bleibt dicht und die Absichten der Fahrer oft unvorhersehbar, was unsere
Konzentrationsfähigkeit auf eine harte Probe stellt. Schleicht sich etwa schon
nach 600 Kilometern die erste Müdigkeit ein?
Zweiräder, Malaysias beliebteste Transportmittel. Egal, ob Stadt, Land oder Wand. |
Irgendwo hinter Terengganu, dem
östlichsten Punkt unserer Reise, ist Schluss mit lustig. Als wolle er uns an
der Weiterfahrt hindern, drischt ohne sichtbare Vorwarnung monsunartiger Regen
auf uns ein. Abwarten können wir nicht, die Uhr treibt uns unerbittlich zur
Weiterfahrt an. Unter dem schützenden Vordach eines windschiefen Holzhauses
streife ich kurz meinen Regenoverall über die völlig durchnässte Textilkombi,
dann geht es zurück in den prasselnden Regen. Ein Gefühl wie auf der aberwitzigen
Durchfahrt einer kilometerlangen Waschstraße, in der hundert durchgeknallte Heinzelmännchen
gleichzeitig ihre Hochdruckreiniger auf uns richten. Unsere
Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt dramatisch, und die insgeheim erhofften
„unter 20 Stunden für 1000 Meilen“ lösen sich in Tropenluft auf. Zumindest
können wir von der Küstenstraße auf einen vierspurigen Highway wechseln, der
uns raus aus dem Verkehr und mitten hinein in eine fast menschenleere Dschungellandschaft
bringt. Von Reifenpannen sind wir bisher verschont geblieben, und das hier wäre
der letzte Ort, wo ich mir einen Reifenschaden wünschen würde. Das einzige
Hindernis erweist sich als eine unvermittelt auftauchende Straßensperre. Nach
einem kurzen Check unserer Papiere und einer eindringlichen Warnung vor
Monsunregen und überschwemmten Straßen entlässt uns die Polizei wieder in den
SaddleSore.
Bei Gambang, wo wir die E8 verlassen und
uns auf den Weg in die Südspitze Malaysias machen, landen wir prompt in einer
ewig langen Baustelle. Die 50 km/h Schilder ignorierend fahren wir auf der
lehmverschmutzten Straße Slalom um nicht endend wollende Schlangen von LKWs,
nutzen jeden freien Meter im Gegenverkehr für Überholmanöver. Wir haben keine
Augen für die gigantischen Plantagen der Palmölindustrie, die endlos an uns
vorbei ziehen. Über Hunderte von Kilometern stehen die genügsamen Ölpalmen in
Reih und Glied. Der karge Boden unter ihnen ist kaum bewachsen, und was
passiert, wenn starker Tropenregen auf diese Monokultur niedergeht, sollen wir
bald darauf am eigenen Leib erfahren.
Die Straßen durch die Plantagen sind
wie mit dem Lineal gezogen, wir sehnen uns ins Kurvenreich des Dschungels
zurück. Nach langer Baustelle und kurzer Trockenperiode reißt uns eine besonders
dunkel anrollende Regenwand aus der visuellen Langeweile und nimmt uns endgültig
jede Hoffnung auf besseres Reisewetter. Völlig durchnässt
flüchten wir uns in eine einsam im Palmenreigen gelegene Tankstelle, wo ich den
Regenoverall ein letztes Mal über meine triefende Textilkombi streife. Die
nächsten 1000 km werde ich ihn nicht wieder ausziehen.
Abenteuer
unter Wasser.
Malaysia ist nach Indonesien der
zweitgrößte Palmöl-Produzent der Welt. Obwohl mittlerweile 5 Millionen Hektar
an Palmölplantagen den Lebensraum wilder Tiere, artenreicher Flora und die für
das Weltklima wichtigen Tropenwälder und Sumpfgebiete zerstört haben, werden nun
auch noch die letzten Busch- und Sekundärwälder gerodet. Hier im Süden scheint
Malaysias wilde und faszinierende Natur bis auf wenige Ausnahmen zu einer
einzigen Monokultur zu verkommen. Wenn dann -wie jetzt- heftiger tropischer
Regen auf das ungeschützte Erdreich zwischen den Palmen niederprasselt,
überfluten in Minutenschnelle schlammige Wassermassen Plantagen und Straßen. In
Schleichfahrt kämpfen wir uns durch schmutzigbraune Sturzbäche, während der
wahnwitzige Regen zwei Stunden lang auf Mensch und Maschine niederprasselt. Der
Begriff „im Verkehr mitschwimmen“ bekommt eine völlig neue Bedeutung. Statt
Navi wäre jetzt ein Sonargerät hilfreich, dessen „Ping...Ping“ die nur wenige
Meter vor uns hinter Gischt und Regenwand verborgenen LKWs orten könnte.
17:00 Uhr. Als wir knapp 90 Kilometer vor Singapur unseren
südlichsten Wendepunkt erreichen, steht uns das Wasser im Regenoverall bis zum
Hals. In Ayer Hitam kommt uns zudem ein heftiges Gewitter viel zu nahe, und wir
sind heilfroh, als wir auf den North-South Expressway zurück nach Penang
einbiegen können. 13 Stunden sind wir jetzt unterwegs, 1100 kräftezehrende
Kilometer liegen hinter uns. In unseren Stiefeln schwappt das Wasser, die
Finger sind taub, und auch die Müdigkeit macht sich stärker bemerkbar. Die von
Joachim errechneten 600 km bis nach Hause fühlen sich nach viel zu viel an, sind
aber bei einem Zeitfenster von noch verbleibenden zehn Stunden problemlos machbar.
Wir beschließen, die geplanten zwanzig Stunden Fahrzeit noch einmal
anzugreifen.
Im Gegensatz zum dichten Verkehr lässt der Regen langsam
nach. Mittlerweile habe auch ich mich den malaysischen Zweirad-Gepflogenheiten
angepasst und überhole permanent links und rechts. Die Geschwindigkeit pendelt
sich bei 130 bis 140 km/h ein, ein sehr angenehmes Reisetempo für unsere müden
Glieder. Um einem Krampf vorzubeugen, strecke ich ab und zu die Beine weit nach
vorne, der Kniewinkel ist tatsächlich zu spitz für mich. Im Gegensatz zu den
drei Fingern, die auf dem Bremshebel liegen, steuern Daumen und Zeigefinger am
Gasgriff zielstrebig auf einen Krampf zu. Irgendwie scheinen auch die Arme
länger zu werden, ständig korrigiere ich meine Sitzposition in eine weniger
unbequeme.
You never know until
you go.
Es ist dunkel geworden, doch von den Grenzen, die wir
erkunden wollen, ist weit und breit nichts zu sehen. Wie weit müssten wir
eigentlich fahren, um dorthin zu kommen, wo wir hinwollen? Expeditionen an die
Grenzen zum Sein sind anstrengend, und ob sie zum gewünschten Ziel führen, ist
fraglich. Doch wie heißt es im Englischen so schön: You never know until you
go.
Als sich die strahlend leuchtende Silhouette von Kuala
Lumpur am dunklen Horizont abzeichnet, die zahlreichen innerstädtischen
Verkehrsknoten von Joachim fachmännisch entwirrt werden und wir kurz darauf die
weithin sichtbaren Petronas Towers wieder hinter uns lassen, scheint ziemlich
sicher: Unsere Grenzen werden wir heute nicht mehr erreichen. Und plötzlich
sind wir sogar sehr froh darüber.
Cameron Highlands. Manchmal macht auch der Regen eine Pause. |
Kurz vor Ipoh fliegen wir am Abzweig in die Cameron
Highlands vorbei. Wenige Urlaubstage zuvor haben Daniela und ich das immergrüne
Hochplateau bereits erkundet. Unzählige Kurven auf einer schmalen, schlecht
asphaltierten Straße führen hinauf aufs hügelige Hochland mit seinen wunderschönen
Teeplantagen, doch auch aus diesem Naturparadies sind wir nach nur zwei Übernachtungen
vom Dauerregen wieder vertrieben worden.
Mit Ipoh huschen auch besonders schöne Erinnerungen an uns
vorbei. Die ehemals reiche Zinn-Stadt, deren Namen von einem Baum stammt, aus
dem die Orang Asli (Ureinwohner) ihr Pfeilgift gewinnen, hatte uns damals auf
dem Rückweg von den Cameron Highlands mit ihren faszinierenden Felsentempeln nachhaltig
beeindruckt.
Das Ende ist der
Anfang.
Ein letzter Tankstopp, dann kommt endlich unsere sehnlich
erwartete Zielgerade in Sicht: die lange Brücke in der Wasserstraße von Malakka,
die uns zurück auf die Insel Penang trägt. Hier fordern die einzigen
Kassenhäuschen auf der gesamten Strecke einen geringen monetären Tribut. Auf
den Highways dagegen dürfen sich Zweiräder auf extrem schmalen, speziell
abgetrennten Wegen an den Mautstellen vorbeischlängeln. Das mit möglichst hohem
Tempo zu bewerkstelligen scheint sich zu einer Art Zweirad-Sport entwickelt zu
haben, und auch wir haben bereits erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, unsere
Bikes blitzschnell durch die engen Kehren zu werfen.
Es ist kurz nach Mitternacht, als wir George Town erreichen
und uns die letzte Tankquittung holen, bevor wir Daniela aus dem Bett werfen und
mit ihrer Unterschrift zur Beglaubigung unserer Ankunftszeit bitten. Auf dem
dabei entstandenen Foto strahlt uns nur wenig Müdigkeit entgegen, aber viel
Stolz über das Erreichte. Auch wenn es nicht die eigenen Grenzen waren.
Die nassen Kleidungsstücke lassen sich nur wiederstrebend
vom Körper pellen, und die wasserleichenbleiche Haut darunter sieht aus wie
nach einem stundenlangen Bad in extrem heißem Wasser. Zwei eiskalte, alkoholfreie
Weizenbiere füllen die leeren Körpertanks auf, dann fallen wir todmüde ins
Bett. Morgen beim Abendessen werden mir immer wieder die Ess-Stäbchen aus der
zitternden Hand fallen, werden die Gehörgänge vom pausenlosen
Ohrenstöpseltragen schmerzhaft angeschwollen und die Arme mit Gelee statt mit Muskelmasse gefüllt sein, Joachim wird
über Kopfschmerzen wie nach einer durchzechten Nacht klagen, was offensichtlich
an unzureichender Zufuhr von flüssigem Reiseproviant lag.
Und unsere „Butts“? Scheinen aus „Iron“ zu sein, denn da
hinten tut erstaunlicherweise absolut nichts weh.
Ziel erreicht. Die Anstrengung wird einfach weg gelacht. |
Die exakt 1.709 km in knapp über 20 Stunden sind ein paar
Wochen später offiziell beurkundet und besiegeln unsere herzliche Aufnahme in
die Gemeinschaft der IBA. Auch die selbst gestellte Herausforderung, ein paar
unerforschte Ecken unseres Innenlebens kennenzulernen, endete durchaus
erfolgreich. Doch eine Frage bleiben offen: Was ist aus den Grenzen geworden,
die wir gesucht haben?
Je näher wir ihnen auf unserer Reise kamen, desto weiter
haben sie sich von uns entfernt. Erreicht haben wir sie letztendlich nicht. Doch
die Erfahrung, dass uns selbst 1000 strapaziöse Meilen nicht an die eigenen
Grenzen führen konnten, gibt uns ein gutes Gefühl für weitere
Motorrad-Abenteuer. Das ist vielleicht der eigentliche Gewinn eines SaddleSore:
Er hat uns nicht nur einen erweiterten Bewegungsraum ermöglicht, sondern vor
allem eine größere Freiheit geschenkt, diesen Raum auch zu nutzen.
Sondern erst der Anfang.