Landlust.
Die neue Triumph Street Triple RS. Auf einem Strassenbelag, der ihr nicht so liegt. Dem Fahrer auch nicht. |
Was für ein Morgen. Unter mir die neue Triumph Street Triple
RS, über mir eine
sanfte Herbstsonne am stahlblauen Himmel, vor mir über 600 brandenburgische Landstraßen-Kilometer. Das fängt ja verdammt gut an, das letzte schöne Herbstwochenende der diesjährigen Motorradsaison.
Ich liebe Reisen, egal wie kurz oder lang und wie nah oder
weit. Immer gibt es etwas Neues zu entdecken, etwas Neues zu erfahren, etwas
Neues zu lernen, etwas Neues zu genießen. Und: ich liebe Motorräder.
Über zwanzig unterschiedliche Marken und Modelle bin ich in
den letzten drei Jahren gefahren. Doch die neue Streety ist eines der wenigen
Bikes, auf dem ich mich auf Anhieb wohlfühle. Alles passt wie angegossen, die
Geometrie positioniert mich aktiv, mein Oberkörper neigt sich leicht nach vorn,
meine Knie bilden einen spitzen, aber angenehm sportlichen Winkel. Nur die an
den Lenkerenden angebrachten Spiegel stören mein ästhetisches Empfinden. Immerhin geben sie
mehr als nur den Blick auf meine Ellenbogen frei, das kann man nicht von jeder
rückspiegelnden Konstruktion behaupten.
Ich fand bereits den Vorgänger der neuen Street Triple, die 675er, grandios.
Deshalb bin ich mehr als gespannt, was der deutliche Hubraum- und PS-Zuwachs des
früheren Daytona-Triebwerks für den Vortrieb des britischen Leichtgewichts
bedeuten. Also los. Schlüsseldrehung, Knopfdruck, unter mir beginnt es verheißungsvoll zu
brabbeln. Die Gänge flutschen sauber rein, und nur von ein paar kurzen Ampelsprints
unterbrochen geht es mit gebremstem Schaum raus aus Berlin. Erstaunlich, auch
im großen Gang pirscht die RS mit niedrigen Drehzahlen raubkatzengleich durch
den Stadtverkehr.
Die Ortsgrenze ist passiert, mit dem kleinen Joystick
navigiere ich problemlos durchs Menue, bis das brillante TFT-Display
statt Riding Mode „Road“ das etwas spontaner ansprechende „Sport“ anzeigt. Ein kurzer
Dreh am Gasgriff lässt nicht nur die Nadel des Drehzahlmessers nach oben
schnellen, sondern auch meinen Puls. Die
Tachonadel zackt blitzschnell in den führerscheingefährdenden dreistelligen
Bereich, und für einen kurzen Moment weiß ich nicht, ob der Dreizylinder in
diese heiseren Jubelschreie ausbricht oder ob ich das bin. Der präzise
Quickshifter und die unglaubliche Drehfreude des in dieser Topversion 123 PS
starken Triebwerks verleiten mich ständig dazu, die Drehzahlleiter rauf und
runter zu stürmen. Was soll man auch machen, wenn Kurven in Brandenburg so
selten sind wie Eisbären in der Sahara. Die meist schnurgerade B 109 rast unter
den Pirelli Diablo Supercorsa hindurch zurück nach Berlin, während sich das breite Grinsen
unter dem Pinlock-Visier stürmisch dem kulinarischen Zwischenstopp in der Uckermark
nähert.
Dass ich den idyllischen Werbellinsee in meine Routenplanung
einbezogen habe, ist alles andere als ein Zufall. An seinem Westufer schlängelt
sich nämlich eine wunderschöne Landstraße Richtung Uckermark. Genau:
schlängelt! Leider ist dieses überschaubar dimensionierte Kurvenreich, das an
Sommerwochenenden zum Sehnsuchtsziel aller Biker im Umkreis von 300 km avanciert,
größtenteils eine 60er Zone, was zur Hochsaison an dieser von Parkplätzen und
Badebuchten gesäumten Touristenrennstrecke durchaus nachvollziehbar ist. Doch
heute, an diesem frühen, kühlen Herbstmorgen, ist hier kaum ein Mensch unterwegs. Ich
entscheide mich, die zahlreichen 60er Schilder als unverbindliche
Geschwindigkeitsempfehlung zu interpretieren und dem mit Öhlins-Technik
bestückten Fahrwerk etwas tiefer auf den steilen Zahn zu fühlen.
Das Vertrauen, dass mir das britische Leichtgewicht schon nach den
ersten schnellen Kurven vermittelt, ist schlichtweg sensationell. Gierig, aber
bestens kontrollierbar wirft sich die RS in die Kurven, folgt unbeirrt der
eingeschlagenen Linie, und auch in tiefster Schräglage zeigt sie ein nur
geringes Aufstellmoment. Im Gashandumdrehen ist die Nordspitze des Sees und
damit Joachimsthal erreicht. Schade. Was für ein Spaß muss es sein, die Streety
auf einer Rennstrecke von der gesetzlich ziemlich kurz gehaltenen Leine zu
lassen! Die Bremsanlage? Ist mit den M50 Vierkolben-Monoblocks von Brembo und den 310er Schreiben
über jeden Zweifel erhaben. Dem sauberen Druckpunkt folgt ein progressives
Zupacken, doch wenn man übertreibt, steigt überraschend das Heck. Nicht
jedermanns Sache, aber irgendwas müssen die zahlreichen Fahrassistenten auch
den sensiblen Händen des Fahrers überlassen. Oder hätte ich das zweite mögliche
ABS-Setup wählen sollen?
Wenige Kilometer vor Gerswalde stuckert mir ein rissiger Betonplatten-Fahrweg
mit deutlich überhöhten Stoßkanten eine Erinnerung an die alte DDR ins Gehirn und einen
weiteren spürbaren Nachteil der RS in mein Gesäß. Mir scheint, die straff gefederte RS ist auf
der Rennstrecke abgestimmt worden, denn die Komfortgrenze ist überraschend
schnell erreicht. Auch die harte Sitzbank gewährt meinem Rückgrat keine
mildernden Umstände, was sich hoffentlich bald mit einer Komfortsitzbank ändern
lässt (das Streety 675 Zubehörprogramm lässt grüßen). Ab und zu stelle mich kurz in die Rasten, lasse meine Wadenmuskeln die Dämpfungsarbeit übernehmen.
Die Mittagspause in Gerswalde ist hochwillkommen, und der
Landlust zweiter Teil darf beginnen. Vor einigen Monaten ist der Fisch- und Räucherspezialist Michael
Wickert aus der trendigen Markthalle 9 in Kreuzberg in die stille Natur gezogen
und hat in der alten Schlossgärtnerei eine neue Basis für seine Räucherei und
seinen Imbiss namens „Glut & Späne“ gefunden. Und den frischen Fischen, die
der passionierte Angler und studierte
Fischereiwissenschaftler manchmal selber fischt, ist er hier sowieso viel näher.
Einen besseren Räucherfisch als den von Michael Wickert (links im Bild) gibt es nicht. Punkt. |
Nur an Samstagen und nur
während der Sommersaison bewirtet Micha in Gerswalde sowohl ortsansässige
Fischliebhaber als auch ausgewiesene Foodies, die von weither in diese
ländliche Idylle anreisen. Das hat seinen Grund. Nachdem mir Micha seinen zweiten Räucherhofen
gezeigt und eine Kostprobe des dort kaltgeräucherten Meersalzes offeriert
hat, genieße ich einen ganzen, über Buche, Erle, Kirche und Wacholder
geräucherten Saibling, dazu ofenwarme Kartoffeln mit
Rote-Bete-Dill-Meerrettich-Sauce und scharfem Apfel-Chutney. Ein Genuss, der keine 10 € kostet.
Später
spaziere ich durch den Garten hinüber ins alte Treibhaus, wo zwei junge
Japanerinnen liebevoll ein kleines, äußerst originelles Café betreiben, und gönne mir zur
Tasse Grüntee etwas von ihrem wunderbaren japanischem Gebäck. Es wird das
letzte Mal sein in diesem Jahr.
Hinter den Glasfenstern des ehemaligen Treibhauses verbirgt sich ein originelles, original japanisches Café. |
Doch unbedingt merken sollte man sich diesen idyllischen Ort. Denn pünktlich zur kommenden Motorradsaison wird die
kulinarische Oase wieder ihre alten, knarzenden Tore öffnen, und ich kann allen
Feinschmeckern unter den Bikern einen Ausflug nach Gerswalde nur wärmstens
empfehlen. Auch deshalb, weil sich auf dem Rückweg über Nieder- und Hohenfinow
(das Schiffshebewerk ist absolut sehenswert!) noch ein paar weitere, wunderschöne Kurven in die brandenburgischen Geraden
einbauen lassen.
Draußen vor der alten Schlossgärtnerei ruft mit leiser, vor Hitze
knisternder Stimme die RS nach mir, ich mache mich gestärkt und bester Laune auf
den Weg. Ein Weg, der mich noch über Hunderte von Kilometern an die polnische
Grenze, in den Spreewald, den Fläming und das Havelland führen wird.
Eine Mittelklasse-Bodenrakete wie die neue Street Triple RS reicht dafür absolut aus.
http://www.glutundspaene.de/